DELTA SAXOPHONE QUARTET, GWILYM SIMCOCK Crimson *******

01. A Kind of Red (Simcock), 02. VROOM/Coda: Marine 475 (King Crimson), 03. The Night Watch (Fripp, Wetton, Palmer-James), 04. Dinosaur (King Crimson, T: Belew), 05. Two Hands, 06. The Great Deceiver (Fripp, Wetton, Palmer-James)

Gwilym Simcock - p, Graeme Blevins - ss, Pete Whyman - as, Tim Holmes - ts, Chris Caldwell - bars

rec. 12/2015
Basho Records SRCD 50-2

Ja schon, dieses Album hat einen unmittelbaren Vorläufer: „dedicated to you...but you weren´t listening. the music of soft machine“ (2007), und manches erklärt sich daraus, z.B. der Ursprung dieses neuen Projektes.
Aber eigentlich gehört es in den Rahmen einer viel größeren Erzählung. Und die setzt spätestens ein im August 1986, als das Kronos Quartet „Purple Haze“ von Jimi Hendrix veröffentlicht: das Streichquartett spielt einen der elektrischsten Gitarristen - weiter entfernt können die Pole nicht sein.
Und höre: das Fremde mit eigenen Mitteln sich anzuverwandeln funktioniert; es gelingt, die Musik in einen völlig anderen Kontext zu transferieren; es schadet ihr nicht, ihre Kernaussage bleibt erkennbar, auch wenn sie sehr viel anders klingt.
Nämliches geschieht hier. Und es ist wohl kaum von Zufall, dass hier ein Saxophon Quartett agiert, ein „klassisches“, das über 30 Jahre existiert, das mindestens in einem Falle ein Arrangement von Kronos nachgespielt hat und der Baritonsaxophonist seine Rolle dort als die des Cellos sieht.
Zum zweiten Male also konzentriert sich das Delta Saxophone Quartet auf ProgRock, wie es heute heisst, oder Art Rock, wie man früher zu sagen pflegte. Für dieses Genre ist England ein home country. Und Soft Machine und King Crimson sind zwei seiner Flagschiffe.
Soft Machine mit vier Saxophonen zu interpretieren ist zumindest ein Stück näher als King Crimson, da erstere zwar auch durch aggressive Expression auffielen, aber doch deutlich gezügelter als King Crimson mit seinen staccato-Hämmern, denken wir nur an ihre Gründungshymne „21st Century Schizoid Man“ (1969), das an Dringlichkeit nicht zu überbieten ist.
Während die Umformung von Soft Machine in ein reines Saxophon-Format, gelegentlich unterstützt von Original-Bassisten Hugh Hopper (1945-2009), mehreren Arrangeuren oblag (darunter die Nichte des späteren Soft Machinisten Karl Jenkins, Issie Barratt), fiel mit King Crimson der schwerere Brocken Gwilym Simcock zu Füssen.
Obgleich der noch in der Spätphase den Präzeptor des ProgRock-Drummings begleiten konnte, Bill Bruford, waren ihm dessen Jahrzehnte währenden Crimson-Zeiten unbekannt.
cover Delta crimson
Simcock also wühlte sich durch Berge von King Crimson und kam schließlich mit einer Auswahl hervor, die - wie eigentlich jede andere Auswahl aus diesem Riesenwerk auch -  willkürlich erscheinen muss.
Er verschmäht die Frühphase (und damit auch „Schizoid Man“) und setzt 1974 mit zwei Stücken aus „Starless und Bible Black“ ein („The Night Watch“ und „The Great Deceiver“), ersteres tendenzielle balladesk, letzteres ein Pathos-Riff-Schinken.
Aus den scharfen staccato-Jahren hat er „VROOM/Coda: Marine 475“ und „Dinosaur“ aus „Thrak“ (1995) gewählt sowie „Two Hands“ aus „Beat“ von 1982, alle unter damaliger Beteiligung von Bill Bruford.

Live-Premiere des Programmes war in Mailand im November 2014, im August 2015 hörte es Bruford an der University of Surrey, wo ihm in diesen Tagen, Frühjahr 2016, der Doktortitel überreicht wird.
In einer privaten mail lässt er durchblicken, dass ihm am besten der Tribut von Simcock an Crimson gefällt, „A Kind of Red“, wo er lediglich Impulse, losgelöst von konkreten Vorgaben, umsetzt.
„A Kind of Red“ jongliert in der Tat geschickt mit der polyphonen Auslegung von riffs, wie sie bei King Crimson geradezu massenhaft verbreitet sind; er setzt auf Kontraste, auf Polyrhythmik und gibt dem besten Delta-Solisten Raum, Graeme Blevins, Sopransaxophon.
Der Australier Blevins zeigt eine gewisse Jazz-Affinität, ebenso wie Tim Holmes, der bei Itchy Fingers war, und Pete Whyman, der für Mike Westbrook arbeitet.
Insgesamt aber sind die vier von Delta eher Satzbläser. Das müssen sie auch sein, das ist ihr Kerngeschäft. Auf ihren Pulten liegen vornehmlich Komponisten der Minimal Music, in einer großen Breite von Steve Reich bis Gavin Bryars. Das ist Pflicht, ProgRock ist Kür, z.B. King Crimson anlässlich des 30. Geburtstage von Delta Saxophone Quartet.
Und Crimson bietet einiges, was Satzbläser schon zum Frühstück gern zwischen die Zähne nehmen: komplizierte staccati, binäres Groove-Wackeln und alle Arten von Polyphonie.
„VROOM“ legen sie hin wie nix, und erst „Coda: Marine 475“! Der Stechschritt in abfallender Linie erstrahlt wie seinerzeit das Original in Anlehnung an das Beatles-Gloria von „I want you“ und „I am the Walrus“ (aber absolut unbeatelig in einer Abfolge von 7/8 und 9/8).
„The Great Deceiver“, wieder ein staccato mit off beats, wieder so eine Achterbahn mit Klein-Motiven, die Kölner Saxophon Mafia ist nicht besser darüber gejagt.
Anderes gelingt weniger gut, „Dinosaur“ klingt eher nach „Cabaret“, und der Gospel-Touch von Simcocks Piano-Solo steht manchmal fremd im Zicke Zacke der Holzbläser. Geschmackssache.
Beim Konzert in London, Mai 2015, spielte der Re-Komponist, Arrangeur Simcock ein fulminantes, unbegleitetes Solo - ein solches ist hier nicht zu finden.

erstellt: 24.02.16
©Michael Rüsenberg, 2016. Alle Rechte vorbehalten