STEFANO BOLLANI Napoli Trip ******

01. ´Nu quarto é luna (Oliviero, Manlio), 02. Maschere (Bollani), 03. Vicoli, 04. Il valzer del Cocciolone (Sepe), 05. Lo choro di Napoli (Bollani), 06. Il bei ciccillo (Capaldo, Trusiano), 07. Apparentemente (Bollani), 08. Putesse essere allero (Daniele), 09. ´O sole mio (Capurro, Di Capua, Mazzocchi), 10. Quel che si diventa (Bollani), 11. Napoli´s Blues (Gori), 12. Caravan Petrol (Carson, Salerno), 13. ´O guappo ´nnammurato (Viviano), 14. Guapparia 2000 (Hengeller), 15. Sette (Bollani, Bang), 16. Reginella (Lama, Bovio)

Stefano Bollani - p, ep, voc (14), Jan Bang - samples, progr (1,15), Arve Henriksen - tp, Ole Andreas Undhjem Hagelaa - samp, Bjørn Charles Dreyer - g, Daniele Sepe - ts, fl, Nico Gori - cl, bcl, Manu Katché - dr (2-4,7,10,11), Sergio Di Natale - dr (6,13), Audun Kleive - dr (15), Alessandro De Carolis - fl (6,13), Umberto D´Angelo - oboe (6,13), Gaetano Falzanaro - cl (6,13), Antonello, Capone - bassoon (6,13), Alessandro Tedesco - tb (6), Aldo Vilgorito - b (6,13), Hamilton de Holanda - bandolim

rec. 2015 (?)

Decca 00602547927132

Stefano Bollani aus Mailand ist humorvoll und sentimental.
Zumindest spielt er so, zumindest treffen entsprechende Zeichen mancher, nicht aller seiner Tonträger, vor allem aber seiner Konzerte so auf unser teutonisches Hören.
Die beiden Linien, die für uns mitunter auch verschmelzen, fährt er er hier voll aus, auf seinem Trip nach Neapel, in die Heimat von „O sole mio“.
cover bollani napoliZunächst aber lenkt er ab.
Dem alten Schlager „´Nu quarto ´e Luna“ (damit´s auch alle merken: inklusive Knistern) steckt er in einen schweren Norweger-Pullover: Arve Henriksens Trompete klingt Molvaer´esker denn je, Jan Bang wühlt in melancholischen Streicher-Samples.
Aha, das könnte der Auftakt zu Brecht´schen Verfremdungungen sein: Napoli durch Oslo hören.
Das nächste Stück „Maschere“ aber führt unmittelbar hinein ins Klischee: schnell marschierende Bläser (man sieht Szenen aus zahlreichen Filmen vor sich); eine Melodie, die so klingt als ob…aber von Bollani selbst stammt.
Nach 25 Sekunden schwenken Daniele Sepe und Nico Gori in ein Schnattern, Manu Katché schlägt einen angeshuffleten funky-Beat und Bollani setzt fette Akkorde auf dem Fender Rhodes oben auf. „Maschere“ ist eine von sechs Eigenkompositionen, mit denen Bollani das zentrale Thema in Form eines Mimikry artikuliert.
In diese Kategorie gehört auch „Il valzer del cocciolone“ des Saxophonisten Daniele Sepe, ein Marsch im 3/4 Takt. Das Thema hat jenen clownesken Charakter, den wir gern der Heimat von Pinocchio zuschreiben; Sepe tut mit schnatternden vibrati ein übriges.
Stefano Bollani leitet es ein mit fettem Klang vom Fender Rhodes Electric Piano, sein bevorzugtes Instrument in dieser Produktion.
Höhepunkt - und am meisten jazz-affin - in dieser Hinsicht ist das rhythmisch leicht brasilianisch unterlegte „Apparentemente“, ein Duo mit Manu Katché. Es ruft Erinnerungen wach an ein sehr ähnliches Projekt 1976, nämlich Chick Corea und Steve Gadd, auf „My Spanish Heart“.
Moment, das ist 40 Jahre her; was muss man von einer Produktion halten, die strukturell nichts anderes bietet?
Die Frage ist möglicherweise falsch gestellt, die Antwort liegt in den beiden folgenden Solo-Stücken, Bollani am Flügel. Sie führen ins zentrale Napoli:
„Putesse essere allero“ von Pino Daniele, 1979, dem berühmtesten Vertreter der „Forza Napoli“, „der Wiedergeburt der italienischen Volksmusik aus dem Geist des technisch avancierten Rock“, wie Thomas Steinfeld in der SZ weiß.
So reduziert, wie Bollani es hier spielt, ahnt man nichts von seiner oben beschriebenen Herkunft. Ähnlich der größte napoletanische Schmachtfetzen, „O sole mio“ (1898); Bollani glänzt in virtuoser Salon-Piano-Manier, erst kurz vor Schluss gibt er das Thema zu erkennen.
Ist das Jazz?
Das könnten etliche Klassiker auch so spielen, und sie bekämen wohl auch die stride piano-Anflüge von „Caravan Petrol“ hin. Man sieht diese Stücke förmlich als Zugaben bei Piano Solo Recitals vor sich.
Aber für die zeitgenössische Jazzwelt scheint damit wenig gewonnen, und wir sprechen hier von einem der führenden europäischen Jazzpianisten. Mit „Napoli Trip“ mag es einem ähnlich gehen wie mit seinem „Sheik yer Zappa
Wir werden Zeugen einer großen Kunstfertigkeit. Beide Produktionen sind fraglos sehr unterhaltsam, und sie gehorchen ebenso dem Dogma der Vielfalt (kurz vor Schluss, der wunderbaren Zugabe „Reginella“ mit dem brasilianischen Mandolinspieler Hamilton De Holanda, noch mal ein klangschwerer Norweger-Pullover, „Sette“).
Und säße man irgendwo in einer Gasse in Napoli, sommers in Erwartung frischer Pasta - man flösse nur so dahin.
Aber von dem Jazzpianisten Stefano Bollani sind wir in der Hauptsache doch andere Genüsse gewohnt.

 

erstellt: 13.08.16
©Michael Rüsenberg, 2016. Alle Rechte vorbehalten