BILL BRUFORD & TIM GARLAND Earthworks Underground Orchestra *********

1. Libreville (Bates, Ballamy, Bruford), 2. Up North, 3. Pigalle (Bates, Bruford), 4. Speaking in Wooden Tongues (Garland), 5. Footloose and fancy Free (Bruford), 6. Bajo del Sol (Garland), 7. It needn´t end in Tears (Ballamy), 8. The wooden Man sings and the stone Woman dances (Bruford)
Bonus-CD: 1. Thud (Ballamy), 2. Rosa Ballerina (Garland)

Bill Bruford - dr, Tim Garland - ss, ts, bcl, fl; Henry Hey - p, Mike Pope - b, bg; Jon Owens, Alex Sipiagin - tp, Rock Ciccarone, Robin Eubanks - tb, Chris Karlic - bars, fl; Steve Wilson - ss, as, fl

rec 10. + 11.12.2004
Summerfold Records BBSF 013 CD

www.billbruford.com

Dieses Album bündelt eine Reihe von Errungenschaften, deren nicht geringste ist, eine paradoxe ist - dass eine so genuin "britische" Musik wie die von
Bill Bruford (und Django Bates und Iain Ballamy) ihre Vervollkommnung in Amerika erfährt.
Ja, man mag hier ausnahmsweise sogar mit der Lieblingsvokabel der gemeinen Jazzkritik operieren, "konsequent". Denn, ist es nicht konsequent, dass Bruford, nachdem er sein letztes Album
Live at Yoshis in Oakland produziert hat und mit Tim Garland (der seit Jahren auch bei Chick Corea sich tummelt) über einen "halben Amerikaner" im Earthworks Quintett verfügt, nun nicht nur in New York City produziert, sondern sogleich auch das schöne Earthworks-Repertoire in die Hände ortsansässiger boys legt?
Garland, so lässt sich Bruford in seinem wieder eleganten Ton im booklet vernehmen, habe die Idee vorgeschlagen. Ein Nonett nach dem Vorbild seines (Londoner)
Dean Street Underground Orchestra, dazu seine Arrangements ausgewählter Werke des Earthworks-Kataloges über einen Zeitraum von 20 Jahren. 2006 feiert die Band, die einst mit Bates & Ballamy startete, ihr Zwanzigjähriges!
Resultat ist der jazzigste, vielseitigte und - bei allem Respekt für die auch früher schon handwerklich nicht unterbelichteten Bandmitglieder - der
reifste Bruford, den es je gab.
Es sind in der Tat "some of the finest players in the U.S.", wie Bruford schreibt, die hier seine Stücke bissfest im
big apple servieren. Charakterköpfe wie Bates & Ballamy sind nicht dabei, mit denen war das Material auf ihre Art ausgereizt. Nein, jetzt sind Superhandwerker am Start, die das komplexe Repertoire für die grosse Jazz-Erzählung aufbereiten, ohne es seiner spezifischen Herkunft zu berauben.
Wir bekommen quasi das Beste aus zwei Welten: so schreibt niemand in den USA, aber so interpretiert eben auch niemand in England! Präzision & Disziplin gibt es in diesem Doppelpack nur in
NYC.
Um mal nur die weniger bekannten hervorzuheben:
Chris Karlig gibt uns, nachdem wir das Instrument jüngst in den Händen von Carlo Actis Dato verflucht hatten, das Vergnügen am Baritonsaxophon zurück. Henry Hey (der mit Bill Evans spielt, Jeff Tain Watts und Jochen Rückert in seinem Trio hat, seine Brötchen bei ... Rod Stewart verdient) ist ein gruppendienlicher Pianist, dem auch solistischer Furor nicht abgeht. Nämliches gilt für die weitere Entdeckung Mike Pope, an Kontra- und Elektro-Bass mit dem Segen von John Patitucci unterwegs, der gerade sein Solo-Debüt mit den Breckers herausgebracht hat.
Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, mit welcher Leichtigkeit die den rhythmischen Wahnwitz nehmen, der im Überbau zusätzliches Gewicht noch durch die Arbeit des Arrangeurs erhalten hat. Das ist
Tim Garland, als Saxophonist bis dato der führenden einer unter den Nudelchefs, daran muss man erinnern. Aber wie der Mann nun aufblüht in seinen eigenen scores! Konsequent, dass Garland gleichrangig mit dem Bandleader, Schlagzeuger, Hauptkomponist, Produzenten und Labelchef firmiert.
Denn so sehr diese Performance von den Komponisten und Interpreten lebt - erst die gestaltende Hand von Garland hat die Voraussetzungen zu ihrer Glanzleistung geschaffen. Bei den frühen Stücken bedeutete dies, deren elektronisches Gepräck (Bates´ absaufende keyboard-sounds, Bruford´s
klirrende Akzente) auf Blech- und Holzbläser, auf den Apparat einer kleinen Big Band zu verteilen. Bei "It needn´t end in Tears" gelingt das am besten, bei "Up North" klingt der Mambo-Teil ein wenig zu glatt, bar seines ironischen Zitatcharakters.
Eine glückliche Hand aber hatte Tim Garland bei den zahlreichen Bruford-
Riffs, vor allem hat er die rhythmische Basis erweitert. Bruford´s Rock-drumming (dies ist überwiegend immer noch eine Jazz-Rock-Affäre) ist um Jazz-Techniken bis hin zum Frei-Metrischen gewachsen.
Die ganze Vielfalt seiner Arrangierkünste hat er auf "The Wooden Man sings, and the Stone Woman dances" konzentriert. Die eng verzahnten ostinato-Linien klingen bisweilen geradezu folkloristisch. Beim zweiten Durchgang fächert er sie in einen
Kanon auf. Aber, dies ist eine Suite, und Garland führt sie rhythmisch durch allerlei Aggregatszustände, von Shuffle bis zur Auflösung des Metrums. Und hinter der Feuerwehrspritze von Alex Sipiagin, das ist die alte Wuchtbrumme von Yes, King Crimson etc. Wer als Hörer hier erst einsteigt und fragend in die Runde blickt - die bass drum, diese bass drum, egal ob früher elektronisch oder hier akustisch, sie wird so von einem nur getreten.

erstellt: 16.02.06

©Michael Rüsenberg, 2006 Alle Rechte vorbehalten