ALBERT MANGELSDORFF QUINTET Folk Mond & Flower Dream *******

01. Plakate (Heinz Sauer), 02. Flower Dream (Mangelsdorff), 03. Folk Mond, 04. Mobile, 05. Thema mal 3, 06. Rib-Degibb-Degibibosse

Albert Mangelsdorff - tb, Heinz Sauer - ss, ts; Günter Kronberg - as, bars; Günter Lenz - b, Ralf Hübner - dr

rec 06. + 07.09.1967
Sony BMG Music Entertainment/Nektar 68.861; LC 8879

Das glückliche Wiederauffinden der "lost tapes" zu dieser Produktion hat Albert Mangelsdorff nicht mehr erlebt. Er stab am 25.07.2005.
Im Mai 2005 zeigte er sich ein letztes Mal in der Öffentlichkeit, da wurde in Frankfurt der "Horst-Lippmann-Platz" für den Produzenten dieser Aufnahme eingeweiht.
Sie war als LP vergriffen, als CD nie erschienen und wird jetzt zu Mangelsdorff´s
79. Geburtstag veröffentlicht.
"Folk Mond & Flower Dream" ist der Abschluß einer Trilogie, das letzte Album des Quintetts in dieser Besetzung. "Für mich unverständlicherweise ist diese Platte nie so populär geworden wie ´Tension´ und `Now Jazz Ramwong´, obwohl die Stücke ziemlich originell und auch wirklich gut gespielt sind." (Mangelsdorff in dem bei oreos über ihn publizierten Band)
Schön, wenn man diese Aufnahme mit den "Ohren von damals" hören und beurteilen könnte. Wenn man sich die große jazz-historische Rahmenhandlung auf den Monitor ruft, mag man Mangelsdorff zustimmen, "daß auf dieser Platte deutlich erkennbar ist, daß sich die Band in der Zwischenzeit weiterentwickelt hatte, vor allen Dingen, was das Solistische der einzelnen Mitspieler belangt."
Hier ist dem Bandleader unbedingt beizupflichten. Er hatte mit
Heinz Sauer und Günter Kronberg zwei hoch-individuelle Instrumental-Stimmen an Bord, von seiner eigenen ganz zu schweigen. Sie wagt sich nicht, noch nicht an das heran, was wenig später sein Markenzeichen werden sollte - die Mehrstimmigkeit, erzielt durch gleichzeitiges Singen und Spielen von Differenztönen.
Nicht ohne Pikanterie liest man aus den original liner notes heraus, die hier nachgedruckt sind, dass der Produzent
Lippmann seinen Albert gerne so konserviert hätte, wie er damals war: "You won´t see any angry faces breaking sound barriers." Das war 1967 vermutlich auf die Saxophon-Schreie von Peter Brötzmann gemünzt.
Überhaupt versichert er den Käufer: "As a listener you will never lose your way, you know where you are."
Der FreeJazz wütete hier und da schon im Lande, in Frankfurt am Main aber hielten die Deiche.
In der Tat: bei Mangelsdorff & Co. ist 1967 alles noch in bewärter Jazz-
Ordnung. Nach dem Thema, meist vom Bandleader und in dem für ihn typischen Signal-Charakter, folgt ein Solo dem anderen, hübsch getrennt durch Themen-Reprisen.
Einen ersten Höhepunkt bietet hier das (Teil)-Titelstück "Folk Mond" (vom Titel her letztlich eine Verballhornung von "Vollmond"):
Mangelsdorff hat das erste Solo, die Rhythmusgruppe agiert sehr kompetent (was sie nicht immer tut), wechselt von
rubato in gebrochenen swing und sammelt sich in einem mittelschnellen 4/4-swing. Dann kommt Sauer! Und man staunt, wieviel von dem, was wir heute bewundern, damals schon vorhanden ist, von diesem trockenen, holzigen Tenor-Ton, einem der wenigen in Deutschland mit shouter-Qualitäten.
Kronberg auf dem Alt klingt demgegenüber erstaunlich verwandt, und wer ihn noch nicht kannte, hat hierzu die beste Gelegenheit.
Die verschiedenen rhythmischen Abfolgen von "Folk Mond", so stellt sich allerspätestens hier heraus, sind geplant, die Interaktion von Solisten & Begleiter durchmessen sie so geschickt, dass die Wechsel als völlig spontan erscheinen.
"Mobile" hat ein wunderbares Thema: Mangelsdorff spielt ein ostinato, die Saxophone ziehen das Thema über ein gestrichenes Baß-Fundament von
Lenz. Mit einem Sopran-Saxophon-Solo entwickelt sich das Stück in einen midtempo-swing; Sauer spielt mit soviel Kraft und tippt quasi an der Vierteltönigkeit, dass man schwerlich ein Sopran in seinen Händen vermutet.
Die Aufspaltung des Themas in Posaune auf der einen und Saxophone auf der anderen Seite wirkt in "Thema mal 3" fast schon polyphon. Die Solisten sind ganz nahe an dem, was sie im Schlußtrack dann endlich exekutieren: zwei
Kollektiv-Improvisationen, zunächst noch auf dem vertrauten Gelände eines uptempo swing und später sogar "free".
Aber, hier offenbaren sich denn doch auch Grenzen - nicht der Melodiker, die sind superb, aber der Rhythmusgruppe, insbesondere des Schlagzeugers
Ralf Hübner. Swing in hohem Tempo ist seine Sache nicht, das Frei-Metrische auch nicht. Das wurde im nächsten Mangelsdorff Quintet durch Peter Giger weitaus kompetenter aufgeführt.

erstellt: 12.09.07

©Michael Rüsenberg, 2007, Alle Rechte vorbehalten