DAPP THEORY Layers of Chance *****

01. After the Fact (Andy Milne), 02. Blackout, 03. Bodybag for Martin, 04. SOS, 05. If you count it, 06. Layers of Chance, 07. Tracing the Page, 08. Bird Calls, 09. Three Duets, 10. Monk Walks, 11. Deja vu

Andy Milne - keyb, Loren Stillman - ss, as, fl, cl; Christopher Tordini - b, bg; Sean Rickman - dr, perc; John Moon - rap, Gord Grdina - oud, Becca Stevens, Latanya Hall - voc

rec. 07.-09.2006
Contrology Records CR-003; LC-Nr 12436

Lange nichts mehr gehört aus der M-Base-Fraktion, von Steve Coleman, Greg Osby oder Gary Thomas, die ab Mitte der 80er Jahre den Jazz-Funk neu vermessen haben. Diese Produktion stammt aus ihrem Umkreis, von einem der begabtesten Mitspieler auf diesem Feld, dem kanadischen, in Brooklyn/NY lebenden Keyboardspieler Andy Milne.
Er steckt hinter Dapp Theory. 2001 taucht dieser Begriff erstmals auf (auf dem Album "Y´all just don´t know"), im Titel seiner fünften Produktion hat er seinen Namen fallengelassen.
Von einer Unterbrechung abgesehen ist
Sean Rickman dabei (1998, auf Milne´s Debüt "New Age of Aquarius" kurioserweise zunächst als Gitarrist), einer der zu wenig besungenen Helden des Funk-Schlagzeugs. Rickmann ist nicht gerade ein Feinmotoriker, er verfügt über präzises timing und einen unheimlichen punch, nicht ganz unähnlich Steve Jordan. Mit einem diesbezüglichen, historischen Zitat geht es los: der offene Groove von "After the Fact" teilt vier Noten mit Steve Khan´s grandiosem "Guy La Fleur" von 1981.
Ein Rapper gesellt sich dazu, im Gegensatz zu seinem früheren Chef, Steve Coleman, hält Milne an einer solchen Rolle fest. Er selbst sinkt in die typischen Keyboard-Muster: harte attacca, weicher Ausklang; sein späteres Piano-Solo ist ein Musterbeispiel dessen, was Europäern so schwer fällt: hart perlende Töne auf einem Groove in scheinbar schleppendem Mitteltempo, alle Stimmen sind eng miteinander verzahnt und wandern doch in ständigen Varianten einher; keiner hält ein pattern durch.
So gut, soweit M-Base-vertrautes Gelände. Die größte Abweichung ergibt sich in den tracks 3, 6 und 9, die jeweils von der
oud, der arabischen Knickhalslaute, eingeleitet werden. Im zweiten Fall, "Three Duets", zieht Andy Milne auch strukturell Nutzen aus dieser ganz anders gearteten Klangfarbe - das Stück bleibt eine kleine rubato geführte Kollektivimprovisation zwischen Milne, Stillman und Grdina, ohne die Rhythmusgruppe, nicht unähnlich "Tracing the Page", ein Trio für Baßgitarre, Keyboards und Altsaxophon, aber weitaus konventioneller.
Nimmt man noch die
minimal patterns hinzu, mit denen "Bird Calls" durchsetzt ist, wird das Bemühen Milne´s deutlich, vom M-Base-Mainstream abzukehren, im Hinblick auf eine "sanftere" Expression, ohne die zentrale Tugend der Stilistik, den hart pulsierenden Funk-Groove, aufzugeben.
Diesen kleinen Wandelt, scheint´s, hat Andy Milne teuer erkauft:
es mangelt "Layers of Chance" an Dynamik und Dramatik, an Erregungspotential; alles schwimmt in langsamen bis mittleren Tempi einher - bis schließlich in "Deja Vu" (nomen est omen) die frühere Ordnung, mit ihren abenteuerlichen rhythmischen Akzentverschiebungen, wenn auch nicht vollständig wieder in Saft & Kraft steht, so doch wenigstens erahnen läßt, worum es ihr einstmals ging.

erstellt: 04.05.09

©Michael Rüsenberg, 2009, Alle Rechte vorbehalten