VERNERI POHJOLA Aurora ********

01. Akvavit (Verneri Pohjola), 02.For Three, 03. Askisto, 04.Boxer Diesel, 05.Spriit of S, 06. Colossus, 07. Concierto de Aranjuez Amour (Rodrigo), 08. At the End of this Album (Verneri Pohjola)

Verneri Pohjola - tp, Juhani Aaltonen, Pepa Päivinen - reeds, Ilmari Pohjola - tb, Aki Rissanen - p, Antti Lötjönen, Ville Herrala - b, Pekka Pohjola - bg, Joonas Riippa, Mika Kallio, Olavi Louhivuori - dr, Meta4 string quartet

rec. 2009 (?)

ACT 9027-2; LC-Nr 07644

Der Name Pohjola genießt in Finnland einen guten, um nicht zu sagen: legendären Klang. Dabei ist hier nun weniger an den Hauptort in dem Nationalepos „Kalevala“ gedacht als vielmehr an Pekka Pohjola (1952-2008), einen der profiliertesten- ja, was denn nun? - Musiker des Landes. Er begann, wie viele seiner Generation, im Blues a la John Mayall. Einen ersten, bis heute nachwirkenden Eindruck hinterließ er in den Jahren 1970-74 als Bassist der Gruppe Wigwam, deren Welt man damals wie heute als progrock bezeichnen kann. Mitte der 70er gelangte er mit zwei Solo-Alben sogar nach England, zu Virgin Records, gefolgt von einer Tournee mit Mike Oldfield 1979.
Pekka Pohjola hat bis zu seinem letzten Album „Views“ (2001), an dem auch seine beiden hier versammelten Söhne mitwirken, nicht immer seinen Standard halten können. Er changierte mal mehr, mal weniger jazz-nah, immer in einem Ausdrucksspektrum, das - für uns Mitteleuropäer - klar erkennbar von einem „nordic tone“, Abteilung Finnland, geprägt war.
Dass er, wie das Label Rockadillo auf seiner Webseite proklamierte, „ohne Zweifel einer der größten Elektrobassisten in Europa“ gewesen sei, dürfte südlich des finnischen Meerbusens und in aller Nüchternheit kaum auf Gegenliebe treffen. Pekka Pohjola war in erster Linie Stilist, ein Komponist und Arrangeur, der wie keiner neben ihm das finnische Gelände innerhalb dessen, wir wir als jazz-verwandt empfinden, modelliert hat. Pohjola ist geradezu ein Synonym für diesen sehr spezifisch melancholischen Ausdruck, mag er nun auf Sibelius zurückgehen oder nicht, der sich jedenfalls deutlich von der sprachlich ähnlich zu fassenden Elegie der Norweger absetzt.
pohjola_coverVerneri Pohjola, geboren 1977, war es vergönnt, für sein erstes eigenes Album außerhalb seiner Gruppe zumindest stellenweise den Vater noch ins Studio bringen zu können. Aber auch unabhängig davon läßt sich manches, was für den Vater gilt (z.B. die Ausbildung an der Sibelius-Akademie), auch auf den Sohn übertragen.
Verneri Pohjola startet das Album mit einem flöten-artigen Ton, in enger Verwandtschaft zu Arve Henriksen, aber er klingt viel dunkler; nicht selten muß man sich auf dem Cover vergewissern, dass er Trompete spielt und nicht Flügelhorn. Er spielt flüssig und sauber, kann sich auch in aufgewühltem Gelände behaupten, freilich nicht immer („Colossus“). Ob Verneri Pohjola als Instrumentalist reüssieren wird, läßt sich kaum prognostizieren, jedenfalls würde man ihn ungern mit Handwerkern wie Axel Schlosser, Matthias Schriefl oder auch Till Brönner ins Rennen schicken.
Nein, Verneri Pohjola beeindruckt sogleich als Komponist, als fabelhafter „Erzähler“ - und er hat strukturell mehr drauf als der Vater. Seine eigene Charaktierisierung von „Aurora“, es handele sich dabei „mehr um eine Sammlung von Kurzgeschichten als um einen Roman“, kann jeder Hörer nachvollziehen.
Verneri P. verzichtet zunächst auf jegliches Pathos: er beginnt „Akvavit“ elegisch mit jenem Arve Henriksen verwandten Ton, verzichtet durchgehend auf einen Beat und lässt erst später die Streicher quasi „sinfonisch“ aufwallen. Mit „For Three“ folgt das, was andere ganz sicher an den Anfang placiert hätten. Das erste von zahlreichen Kantilenen-, also singbaren, Themen, warm arrangiert mit Flöten und Baßklarinette, dem Titel zum Trotz über einem leichten Rockbeat, der eher wie 6/4 als nach 3/4 wirkt. So ähnlich hätte es auch beim Vater klingen können - vermutlich aber nicht so dynamisch. Herrlich wie der Pianist Aki Rissanen in seinem Solo jegliches Drama herausnimmt und alle Bewegung auf eine kleine Zelle reduziert.
Und dann geht´s richtig los, dann blätter VP im Logbuch seiner Fantasie. Ein Kontrabass/Streichquartett/Glockenspiel-Feature bei „Askisto“. Ein lang-verwehtes Thema in „Boxer Diesel“, das von Wigwam stammen könnte, hier spielt Pohjola sein bestes Trompetensolo. Wie sehr er das kammermusikalische rubato beherrscht, zeigt er in „Spririt of S“, die Bläser sind exzellent (wer spielt die Flöte?).
Das „Concierto de Aranjuez Amour“ klingt wie eine Dreifach Referenz and Joaquin Rodrigo, Gil Evans & Miles Davis sowie Arve Henriksen. „At the End of this Album“ schließlich, ein Absturz in das Sentimental/Kitschige, das man nun auch mal gerne bei unseren nördlichsten Nachbarn verortet - hier freilich dargeboten mit deutlichem Augenzwinkern: das Stück beginnt und schließt frequenz-beschnitten wie im TripHop.
Wir haben verstanden, auch Verneri Pohjola mag auf „Humor“ nicht verzichten, wie er manchem seiner Landsleute (Iiro Rantala) zum nervigen Habitus geworden ist. Danke, dass er ihn so fein dosiert und an den Schluß dieses exzellten Unternehmens gestellt hat.
„Aurora“ wurde in Finnland zum „Besten Jazzalbum 2009“ gekürt, dies ist die ungekürzte Übernahme des Originals (mit besserem Cover).

erstellt: 18.01.11
©Michael Rüsenberg, 2011. Alle Rechte vorbehalten