ENEMY The Betrayal *****
01.Croydon Smash (Enemy, 02. Hollywood Bypass (Downes), 03. Neglecting Number One (Eldh), 04. Sun (Downes), 05. Morfar Sixten (Eldh), 06. Fiend, 07. Close Up (Downes), 08. EB, 09. Manipulate (Enemy), 10. Liability (Downes), 11. Croydon Shuffle (Eldh), 12 Army Of Three (Downes)
Petter Eldh - b, Kit Downes - p, keyb (3,6,9,10), James Maddren - dr
rec. 04/2022
We Jazz WJCD 52
Dieses Album hat ein sehr frühes Vorecho.
Schon bei ihrem phänomenalen Konzert im Juni 2022 im Stadtgarten Köln war die Rede davon.
Da machten sie sich - on stage! - über das vorherige Album lustig, „Vermillion“, oder eigentlich doch mehr über das Label, ECM (2021).
Es war, man sollte einstweilen nicht gar so deutlich darüber berichten, der früh angekündigte Abschied von ECM. Ein neues Album sei bereits aufgenommen, es werde bei We Jazz erscheinen und ganz anders klingen, viel Wert werde auf die Postproduction gelegt.
Das ist nun ein gutes Jahr her. Zwischenzeitlich wurde die Vorfreude darauf mit einem Konzert beim Jazzfest Bonn 2023 wachgehalten.
Nun ist dieses Album da, das dritte. Das, von dem man vermutete/hoffte/wünschte, es würde die beiden Vorgänger so an die Wand spielen, wie es die Live-Performances taten.
Überraschung weicht Ernüchterung. Ein Wink mit dem Albumtitel „The Betrayal“ (der Betrug) wäre zu billig und auch überzogen.
Aber so hatten wir uns das dann doch nicht vorgestellt.
Nun denn, es gibt etliche Jazzmusiker und -innen, die kämen vor Lachen nicht in den Schlaf, wären sie einer solchen Interaktion fähig, würden sie einen solchen Wirbel entfachen können.
Aber, hey, hier haben es mit Enemy zu tun, einem europäischen Top-Ensemble, das im Haus der Gattung, dem Jazz-Piano-Trio, eine eigene Etage belegt, mindestens ein geräumiges Appartement.
Ihre Konzerte sind nun wirklich events, Räusche des Spontanen, Feiern des musikalischen Übermutes.
Und jetzt?
Jetzt öffnen sie ihre sketchbooks, ihre digitalen Kladden - die nichts weiter offenbaren als die Skizzen dessen, was sie auf den Bühnen Europas bis zur Raserei treiben.
Mehrere Stücken wirken unfertig, z.B. der Auftakt „Croydon Smash“, ein zwei-Takte-loop, dessen Pianofigur klangtechnisch bearbeitet erscheint.
Oder „Manipulate“, wo genau das geschieht: James Maddrens snare steht durchgängig auf der Zählzeit „3“ (gelegentlich auch verschoben), drumherum verdrehen sich die Rhythmen, aber es wird kein Ziel erkennbar.
Nämliches gilt für die Form: „Fiend“ ist eine sich aus dem rubato schälende Ballade mit keyboard-Flächen im Hintergrund (was das Cover nicht benennt), zum Schluss stehen die keyboard-Flächen 23 Sekunden lang frei - und werden von einer Coda im uptempo swing abgelöst.
Warum? Einfach so?
„Neglecting Numer One“ in der für Petter Eldh typischen Kinderliednähe, über einem 4 Takte gekonnt verdrehten mid-tempo-Shuffle kommt den Live-Performances am nächsten. Man erkennt es von dort wieder, hat es aber in viel großzügigerer Auslegung in Erinnerung.
Woran es „The Betrayal“ u.a. mangelt, ist…ja, belegen wir es mal mit dem Allerweltsbegriff „Narativ“. Ein längerer Atem, ein hintersinniger Umgang mit anderen Skizzen, wie zum Beispiel Hendrix´ „Castles made of Sand“, auf dem vorigen Album „Vermillion“.
„Wo einst Echo und Hall waren, sind jetzt rhythmische Intensität und ein kompakteres Klangbild“, so misst We Jazz nun den Abstand zu „The Betrayal“. Das mag überzeichnet klingen, ist aber nicht falsch.
Andererseits, Petter Eldhs Bass klang niemals besser als bei ECM.
Und, wenn´s denn um „rhythmische Intensität und ein kompakteres Klangbild“ gehen soll, warum nimmt das Trio nicht ein Live-Album auf?
Da hätte man beides in expressiverer Form als in einem noch so guten Studio wie dem Hansa in Berlin.
erstellt: 19.09.23
©Michael Rüsenberg, 2023. Alle Rechte vorbehalten
PS (27.09.23)
Gestern Abend Produktion eines Live-Albums von Enemy im Loft, Köln.
Eine Live-Aufnahme unter Ausschluß von Mikrofonen.
Auf gut Deutsch: die Aufzeichnung ist bei Konzertschluß verflogen, sie ist von da an nur noch in den Langzeitgedächtnissen der zahlreichen Besucher gespeichert.
Enemy spielt unplugged.
Und der Baß von Petter Eldh (er bedient keinen eigenen, sondern den Kontrabaß des Hauses) ist selbst noch im Vorraum in wirklich allen Details zu hören. Einen solche Baß-Performance hat das Haus wohl in Jahrzehnten noch nicht erlebt.
Enemy spielt Material aus dem neuen Album, raffinierter, ausschweifender, packender. Eigentümlicherweise tritt die Block-Ästhetik des Trios deutlicher hervor. Im Fragmentieren & De-Fragmentieren des eigenen Repertoires düfte es durchaus mit dem letzten Wayne Shorter Quartet gleichziehen.
Zum Schluß ein Hammer-Medley aus „Children with Torches“ (aus dem ersten Album), „Castles made of Sand“ von Jimi Hendrix (ein, um in der Begrifflichkeit des vorigen Titels zu bleiben, ein unvergleichliches Ausleuchten vorhandener und neu-fantasierter Details dieser Komposition) und dem uptempo swing von „Sun“ (aus „The Betrayal“).
Das Stück steht dort in der Landschaft herum, hier windet es sich pfeilschnell aus dem von Hendrix vorgegebenen Balladenmodus.