Sie kommen arg verspätet auf die Bühne. Und kündigen dann nur „two short sets“ an.
Zwei kurze sets, das klingt nach „bringen wir´s hinter uns“, am längsten Tag des Jahres; um möglichst bald in der lauen Luft vor dem Stadtgarten mit den Kollegen zusammenzustehen, von denen etliche im Publikum sitzen (Und zwei später auf die Bühne kommen werden.)
Als sie sich dann in die Pause verabschieden, man schaut auf die Uhr, ist tatsächlich kaum mehr als eine halbe Stunde vergangen. Aber was ist in diesen 30 Minuten plus geschehen? So viel, dass man ein viel größeres Zeitfenster in Erinnerung hat.
Zu diesem Eindruck trägt auch bei, dass man nun auch die andere launige Vorbemerkung von Petter Eldh wirklich versteht
(„Wir sind Enemy. Wir haben ein Logo. Kit Downes, Petter Eldh, James Maddren - das ist ein ganz anderes Projekt“).
Im Klartext: hier spielt zwar das identische Personal von „Vermillion“ - aber es hat ECM überlebt.
Unseres Wissens nach spielt es nur ein einziges Stück dieses Albums, nämlich Jimi Hendrix´“Castles made of Sand“ - aber wie!
Es malt nicht in „Zinnoberrot“, sondern - um im Bild zu bleiben - in der Rakel-Technik eines Informel-Künstlers wie K.O. Götz (1914-2017).
Die ist von dynamischen Gesten geprägt, aber mit allerlei Subtilitäten an den Rändern. Die Dynamik, sie liegt bei Enemy in der überaus vielgestaltigen Rhythmik. Es ist eine Avantgarde, die niemals ihre tonalen Zentren vergißt.
“Castles made of Sand“ bietet dafür ein gutes Beispiel. Wie Wayne Shorter auch jongliert das Trio mit den Bestandteilen eines Stückes, verschiebt sie spontan.
Das funktioniert auch deshalb so betörend gut, weil die drei alles, wirklich alles intus haben. Lee Konitz (1927-2020) hätte sein Entzücken, wie hier sein Improv-Theorem ("prepare to be unprepared") in aktuelle Musik umgesetzt wird.
Die Rhythmusgruppe benötigt kein Notenpapier, der Pianist Kit Downes zieht es nach Bedarf heran.
Er kann sich darauf verlassen, dass Petter Eldh, b, und James Maddren, dr, in der Zeit, während er mit einer Hand blättert und mit der anderen einen Ton repetiert, genügend einfällt. Und das sind aufgebrochene Rhythmen ohne Ende.
Mitunter, selbst bei hohem Tempo, setzt Eldh noch eins drauf und beschleunigt seinen Part.
Es ist diese right-into-your-face Ästhetik, die auch das Debütalbum prägt. Das ist nicht mehr eine Übertragung aus dem Klangraum des Auditorio Stelio Molo, Lugano, sondern aus dem Hansa, Berlin, wo sie vor kurzem ihr kommendes Album aufgenommen haben, ein Rock-Studio.
Und Buddy Rich (der mit ihm sonst nüscht teilt) hätte sein Entzücken an James Maddren, allein wegen der kurzen Wege, die seine Hände zu den Teilen seines drum set benötigen. Es bleibt ein Rätsel bzw. ist seine hohe Kunst, wie Maddren, ein unterdurchschnnittlich lauter Drummer, solche Intensitäten erzeugt.
Alles ist gebrochen, niemals frei-metrisch, und dennoch groovt der schlanke Mann selbst mit den Besen, dass es einen nur so fortträgt. Darunter zwei-taktige vamps en masse, aus denen immer wieder einer ausschert.
Die Selbstsicherheit, die dies voraussetzt, ist enorm. Aber dass sie nicht in Selbstzufriedenheit abgleitet, mag man auch an der Mimik der Musiker ablesen. Nicht selten ist dort Überraschung & Freude zu erkennen.
Die Selbstsicherheit ist so groß, dass Enemy nach Matthew Halpin (ein irischer Saxophonist, der in Köln lebt) Percy Pursglove zu sich bitten; der britische Trompeter weilt gerade in Köln, weil er mit Robert Landfermann für dessen „Rhenus“-Premiere bei der Monheim Triennale probt.
Pursglove springt ins kalte Wasser. Wie kalt, erfährt man erst nach dem Konzert. Er wirkt mit in einem Stück des kommenden Enemy-Albums - das er gar nicht kennt.
Nachdem das Trio das Thema vorgestellt hat, öffnet die Rhythmusgruppe ein quasi modales Fenster, das Pursglove peu a peu solistisch ausmalen kann, dann folgt ein interplay mit dem Pianisten.
Pursglove dankt für den Beifall, tritt von der Bühne ab. Das Trio wiederholt das Thema.
Tosender Beifall, durchmischt mit Rufen des Entzückens.
Foto: Gerhard Richter
erstellt: 22.06.22
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