STEFON HARRIS & BLACKOUT Evolution *****

1. Nothing Personal (Don Grolnick), 2. For him, for her (Darryl Hall), 3. Until (Sting), 4. Red-Bone Netti-Bone (Stefon Harris), 5. A Touch of Grace, 6. Summertime (Gershwin), 7. Blackout (Stefon Harris), 8. The lost Ones, 9. King Tut´s Strut (Galeta), 10. Message to Mankind (Xavier Davis), 11. Montara (Bobby Hutcherson)

Stefon Harris
- vib, Darryl Hall - b, Terreon Gully - dr, Marc Cary - keyb, Casey Benjamin - as, Anne Drummond - fl, Xavier Davis - p, ep, Pedro Martinez - perc

rec 20./21.11.2003
Blue Note 7243 5 97354 2 9; LC-Nr 00133

Das Album eröffnet mit einem dejavú: offenkundig ist
Don Grolnick nun auch in der jüngeren, schwarzen Jazzmusiker-community angelangt. Die Art, wie Stefon Harris "Nothing Personal" anlegt, ist zunächst gewöhnungsbedürftig. Die 1987 für das Debütalbum von Michael Brecker geschriebene Komposition entreisst er vollends dessen Dunstkreis - er nimmt quasi den Titel beim Wort und und macht das Stück zu einem Zeitgenossen, an den seinerzeit Komponist und Erst-Interpret wohl nicht gedacht haben. Stefon Harris´ "Nothing Personal" gefällt sich in einem Stil, der damals noch nicht vollends verklungen war, in einem Spät-Disco-Stil.
Auch hier also dieses 1-und-2-und-3-und-4-und... auf der geschlossenen hi-hat, Fender Rhodes a la
Hancock ohne Ende, dazu Flöte und ein Altsax a la Sanborn: die Aufstellung der 70er Jahre. Harris & Co. gehen das Stück in einem Irrsinnstempo an, als möchten sie mit ihrem Übermut (ãdas machen wir mit links“) eine leicht anrüchige Periode gleichsam überfliegen.
Dieses Ansinnen, so erweist sich im weiteren Fortgang, ist paradigmatisch für das Album. Von "Evolution" keine Spur, die 70er Jahre haben diese jungen Wilden auf dem Monitor, eine Zeit, in der sie allesamt noch in den Windeln lagen.
Freilich ist Stefon Harris kein
Max Raabe des Jazz, mit Nostalgie, Herumlaufen in alten Klamotten hat er nichts im Sinn, und nur eine der wenigen Fremd-Kompositionen stammt ja wirklich aus den 7oern, nämlich Bobby Hutchersons "Montara" (1975). Nein, es sind schon Zeitgenossen, die da ein Zeitfenster öffnen und mit ihrem Besteck keine neue, sondern eine alte Stadt aufbauen.
Das handwerkliche Niveau ist immens, insbesondere die Rhythmusgruppe und der Bandleader brennen: permanente Wechsel in Tempo und Groove, eine
7/8 Samba (!), gegenüber den Rhythmusknechten der Referenzzeit grenzt das schon an Überheblichkeit.
Die anderen aber sind Wasserträger. Die beiden Pianisten kennen kaum etwas anderes als Herbie-
licks, der Altist gibt den Sanborn, aber - uhh - mit dünnem Strahl, dass es schon wehtut. An der Seite von Stefon Harris hingegen hat man schon ganz andere Kaliber gesehen: vor 3 Jahren Jacky Terrasson, noch früher auch einen Greg Osby oder Gary Thomas. Musiker solchen Formates wären vonnöten, wenn - wie hier - eine Ära mit schlechtem Leumund anvisiert wird. Insofern muss dieses Ensemble mit Überfliegern gelegentlich auch Warteschleifen drehen - wenn man nicht gut beleumundetes Gelände überquert, bleibt das nicht aus.

©Michael Rüsenberg, 2004, Nachdruck verboten