MICHAEL RIESSLER Big Circle ****

01. Introduction (Riessler), 02. Raster, 03. Double, 04. Circle,  05. Tthh,  06. Indy, 07. Net,  08. Aruno,  09. Berenice, 10. Hemis

Michael Riessler - bcl, sopranino sax, Pierre Charial - barrel organ, Max Merseny - as, Stefanie Lottermoser - ts, Andreas Unterreiner, Johannes Schneider - tp, Peter Palmer - tb, Peter Laib - cimbasso, Robby Ameen - dr, Manuel Orza - bg, Terry Bozzio - dr (10)

rec 20. - 23.04.2010
Intuition INT 3435 2; LC-Nr 08399

Michael Riessler ist so ein Fall. Oder auch Rabih Abu-Khalil. Musiker, die nicht eigentlich Jazzmusiker sind, aber wegen des angeblichen Primärmerkmals „Improvisation“ in der Jazzszene debattiert werden, sie haben hier Fuß gefasst, weil sie anderswo noch fremder wären.
Riessler gehörte zu seiner Kölner Zeit zu den Interpreten aus dem Stockhausen-Kreis, man raunte sich anerkennend zu, er könne noch den Fliegenschiss vom Papier spielen, ein so guter Notist sei er. Zwar lassen sich für ihn auch Jazz-Referenzen heranziehen (kurzzeitig die Kölner Saxophon Mafia zum Beispiel oder das Orchestre National de Jazz, zu seiner am wenigsten groovenden Zeit unter Claude Barthelemy), aber man könnte sich von Riessler keinen Blues vorstellen (in Atlanta ist er einst, als die Vorzeichen entsprechend klangen, gar nicht mehr auf die Bühne zurückgekehrt).
Riessler ist Riessler, ein Interpret letztlich der Neuen Musik, der sich gern jazz-nahe Mitwirkende sucht, andererseits aber fast immer auch einen Drehleierspieler zur Seite hat - mittendrin seine virtuos, drängend und schnell gespielte Baßklarinette, die kaum je zur Ruhe kommt.
Einer Ästhetik des Jazz ist damit wenig geholfen. Was dieses schöne Instrument dem Jazz der Gegenwart zu sagen hat, wird sehr viel überzeugender von Thomas Savy formuliert.
cover-riesslerDer Auftakt zu „Big Circle“ ist wirklich furios, er hält fünf Stücke an und dauert an die 20 Minuten - eine Attacke in kaum wechselnden hohen Tempi, zerklüfteten Bläser-Motiven, ständigen drum-fills und Solisten on top of it. Erst mit dem 9/4-ostinato von „Indy“ zieht ein gemächlicheres Tempo ein.
Meine Herren, hier zieht aber einer alle Register, man darf beeindruckt sein vor soviel Schnittigkeit. Der Kritiker der FAZ war es auch. Aber leider geht er dem Vorschlag des Labels auf den Leim, und hatte ebenfalls „Assoziationen zu den großorchestralen Werken Frank Zappas“. Assoziationen sind immer gut und immer erlaubt - aber nur so lange, wie die Unterschiede nicht ans Ohr drängen. Und die sind nun wirklich schlagend, denn im Gegensatz zu Riesslers Phrasen-Werkstatt dominierte bei Zappa die Architektur eines Strategen, der für den Überfall immer auch einen Kontrast vorsah und vor allem: der für Schlagzeuger Aufgaben hatte, die über das dramatische Zuschütten des Stereo-Panoramas hinausgehen.
Nicht Terry Bozzio, der hier im Schlußstück über die toms wieselt, war Zappas favourite, sondern Vinnie Colaiuta - ein Groove-Mann! Das, was hier rhythmisch, mitunter im Stechschritt, abgeht, mag man in der Neuen Musik für eine Errungenschaft halten, für „Groove“ - im Jazz mitnichten.

erstellt: 01.03.12
©Michael Rüsenberg, 2012. Alle Rechte vorbehalten

PS: "
Hallo Michael, lese jetzt erst deine Kritik über "big circle" und muß dir lassen,dass ich noch nie so einen dummen Scheiss gelesen habe! Bravo.Da kannst du stolz sein,Herr groove Kenner!" MICHAEL RIESSLER, 29.10.2012