HAYDEN CHISHOLM 13 Views of the Heart´s Cargo **********
CD 1 Love in Numbers
01. Prelude to a Bliss, 02. Love in Numbers, 03. Soorya 1, 04. Soorya 2, 05. Lucas River, 06. Fibonacci Raga
Hayden Chisholm - as, bcl, monochords, sruti box, Mahesh Vinayakram - voc (3)
CD 2 The Rabbit´s Dream of the Inner Mongolia
01. Prescious Cargo in my Heart, 02. My Companion is the Wind, 03. The Zenith of my Solitude, 04. The Whispers that Roar, 05. My Small Heart Still Expanding, 06. Tiny Dragons Incarnate, 07. Cutting Pentagrams in the Sky, 08. A Compact History of Infinity, 09. I am Song
Fengxia Xu – guzheng, voice, Hayden Chisholm – as, monochords, sruti box
CD 3 Nearness Live
01. How the Ghost of you Clings, 02. Your Nowhere, 03. So Alone, 04. May, 05. Nearness, 06. Tout de Moi, 07. Remembrance, 08. Friends, 09. No Days, 10. Reven Ouy
Hayden Chisholm - as, Matt Penman - b, Jochen Rückert - dr
CD 4 Lula Pena and Hayden Chisholm - Live in Berlin
01. Live in Berlin 1, 02. Live in Berlin 2, 03. Live in Berlin 3, 04. Live in Berlin 4, 05. Live in Berlin 5, 06. Live in Berlin 6, 07. Live in Berlin 7
Lula Pena - g, voc, Hayden Chisholm - as, sruti box
CD 5 Hayden plays Haydn
01. Miniature Amplification (based on Flötenuhrmusik 1, Hob. XIX,1), 02. ‘twas but a Dream (based on Das Leben ist ein Traum, Hob XXVIa:21), 03. Time’s Defeat (based on Symphony 47, Hob 1:47 “Palindrom”), 04. Heart’s Recall (based onRecollection, Hob XXVIa:26), 05. Who Speaketh by Night? (based on Arianna a Naxos, Hob XXVIb:2:nr3.), 06. O dear Sloth! (based onLob der Faulheit, Hob XXVIa:22), 07. Raga Josef (based on Oboen Konzert, Hob. VII:C1), 08. Flötenuhrmusik 6, Hob. XIX,6) 09. Shotgun Wedding (based on Fidelity, Hob XXVIa:30), 10. Gott Erhalte Franz den Kaiser (Retrograde), Hob. XXVIA:43 reversed, 11. The Bahian Dream (based on Flute Concerto, Hob. VII/D1), 12. Love’s Seed Sound (based on “The Creation”, Hob. XXI:2), 13. Gott Erhalte Franz den Kaiser in double retrograde
Hayden Chisholm – as, voc, sruti box, Simon Nabaotv – p
CD 6 Mute Density
01. Density, 02. White Monochorme, 03. Mute Cluster, 04. Fragile Peace, 05. Desire Crossfade, 06. Minor Attempt, 07. Sketches of Pain, 08. Metal Spit Lament, 09. Cassiopeian Dancehall, 10. Blue Monochrome, 11. Ambient Meltdown, 12. Mute Density, 13. Quint Monochrome, 14. Cluster Swing, 15. Tune In (Bonus Track)
Lucerne Jazz Orchestra, David Grottschreiber - cond, Hayden Chisholm - as
CD 7 Electric Trio - Fragmented Teaching
01.Peppered Tear, 02. Trans Tesla’s Inverse Shadow, 03. Fly, 04. Geminesque, 05. Heart Cut, 06. Hunab Ku, 07. Fragmented Teaching, 08. Barely a Moon
Hayden Chisholm - as, Simon Nabatov - ep, Jochen Rückert - dr
CD 8 The Dharma Cowboy
01. I’ll outlive the rocks of this desert, 02. Barn Dance, 03. You speak no longer with me, 04. But the night is dark, 05. So I was driven by the moon, 06. Space instrumental, 07. One day, all that’s gonna remain, 08. Cowboy’s don’t cry, 09. Fast Country, 10. Lonely intro, 11. Lonely in my head, 12. Before I’m gone, 13. If I’m gone soon, 14. Cowboy dub, 15. Down we fall, 16. The Blue Hour, 17. Sunset Man
Bruno Müller – g, Nobert Scholly– g, Martin Gjakinowski – bass, Gareth Lubbe – synth, va, Claudio Bohorquez – vc, Robert Nacken – dubs
, Hayden Chisholm – g, voc
CD 9 The Life of Hands in Love
01. Slow Dance to Solitude, 02. Funeral March, 03. The Life of Hands in Love, 04. The Heresy of Broken Form, 05. Atoned, the Quietest of Storms, 06. In the Ecstasy of the Movement of Others, 07. The Fool’s Lament
Hayden Chisholm - as, John Schröder – g (1,2,6,7,8), dr (4,5) Achim Krämer - dr (1,2), Franz Hautzinger - tp (3,4), Dietmar Fuhr - b (4-7), Daniel Schröteler - dr (6-8)
CD 10 Breve - Live at Plush
01. So it goes (John Taylor), 02. Slow gambol (Matt Penman), 03. Sly eyes (Kenny Wheeler), 04. New Old Age (Taylor), 05. Vieux Telegraph, 06. In Daylight Mourning (Chisholm), 07. How deep is the Ocean (Irving Berlin)
Hayden Chisholm - as, Matt Penman - b, John Taylor - p
CD 11 The Well-Tempered Sruti Box
01. The Well-Tempered Sruti Box (soprano), 02. The Well-Tempered Sruti Box (alto), 03. The Well-Tempered Sruti Box Live in Bremen
Hayden Chisholm- saxophones, sruti box
CD 12 Auto Poetica - Works for Saxophone
01. Monochrome 1, 02. Inside C, 03. Density Movements, 04. Monochrome 2
Florian Bergmann, Pierre Borel, Hayden Chisholm, Oliver Gutzeit, Frank Gratkowski, Leo Huhn, Christian Weidner, Benjamin Weidekamp - as
CD 13 My Blood flows from Scotland to Armenia
01. The Barns o’ Beneuches, 02. A Wee Drap o’ Whiskey, 03. John and the Breathing Box, 04. Bonnie Earl of Murray, 05. The Breathing Box and John, 06. O, Are You Sleeping, Maggie?, 07. Blue Bells of Scotland, 08. The Echo mocks the Concrake, 09. Flight over the Black Sea, 10. Armenian Dreamtime
Hayden Chisholm - as, sruti box, John Schröder - g (1-8), Pina Bettina Rücker - crystal bowls (9)
Moontower Foundation MT 01- MT 13, haydenchisholm.net
Wie einst Genschman (Hans-Dietrich Genscher), der auf einem Transatlantikflug sich selbst in einer entgegenkommenden Maschine begegnet sein soll, haben derzeit drei deutsche Jazzmusiker eine besondere Lizenz vom Allerhöchsten: sie dürfen den Tag nicht mit 24, sondern mit 48 Stunden ausfüllen.
Anders ist nicht zu erklären, wie Robert Landfermann, b, und Jonas Burgwinkel, dr, ihren Band-Mitgliedschaften nachkommen können.
Von Hayden Chisholm ahnte man zumindest Ähnliches. Sicher in Köln, wo eine kleine Gemeinde den Umfang seiner Aktivitäten dank eigener Konzertreihen im Loft abschätzen konnte. Wohingegen Chisholm Rest-Deutschland vorwiegend als Mitglied von Nils Wograms Root 70 vertraut sein dürfte, ab Herbst 2012 vor allem in seiner Rolle - tja, wie wollen wir sie umschreiben? - als anchorman der Volksmusik-Doku „Sound of Heimat“.
Was er jetzt mit dieser 13-CD-Box vorlegt, dürfte allerdings auch hartgesottene Loft-Besucher verblüffen: das haben sie denn doch nicht gewusst. Dass die kosmopolitischen Züge des 1975 bei Auckland/NZ geborenen Saxophonisten, Klarinettisten, Komponisten, Performers einen solchen Umfang annehmen.
Wir müssen dazu binnen kurzem erneut die deutsche Jazzgeschichte heranziehen, denn eine so ambitionierte Edition hat es bis dato dort nicht gegeben. Dabei handelt es sich weder um eine Compilation noch einen Sampler, sondern um einen Schwung von Aufnahmen aus den letzten 10 Jahren, die früheste von 2002, die - abgesehen von privat überreichten Vorabexemplaren - unveröffentlicht sind. Kein Produzent steckt dahinter (obwohl, dazu kommen wir später, ein solcher hier und da hilfreich gewesen wäre), sondern der Künstler selbst, offenbar lediglich von einigen Privatpersonen unterstützt.
„13 Views of the Heart´s Cargo“ ist aber nicht nur editorisch, quantitativ eine Riesenleistung, sondern auch editorisch qualitativ, stilistisch, musikalisch. Es ist eine eigene Welt.
Bei der sich das Schwafelwort von den „Grenzüberschreitungen“ verbietet, ja als Lachnummer erweist: fast ein jeder Schritt von der einen zu nächsten CD dieser Box kommt einer solchen Grenzüberschreitung gleich. Der Begriff führt sich auch deshalb ad absurdum, weil die Aktivitäten fast immer von demselben Kern ausstrahlen, nämlich diesem flötenhaft intonierten Altsaxophon.
Diese Erklärung trifft freilich nur die instrumentale Oberfläche, denn selbst da, wo Hayden Chisholm seine angestammten Instrumente gar nicht bedient (wozu oft auch die indische sruti box gehört), wo er - wie in MT8 The Dharma Cowboy - Blues-bezogen singt, fällt die Darbietung keineswegs aus dem Rahmen.
Die Haltung, die diese unfassbare Vielfalt in Gang setzt, sie artikuliert sich im booklet auf der letzten Seite in einem Foto mit einer poetischen Wortzeile. Ein Mann (mutmaßlich HC selbst) spielt Altsaxophon an einem großen See, vielleicht einem Meerbusen. Er befindet sich auf einem Steg, im Gegenlicht, die Abendsonne im Hintergrund bäumt sich noch einmal unter einer großen Wolkendecke auf. Bildunterschrift: „Moving Clouds with one Tone“ - Wolken mit einem Ton bewegen.
Das ist es!
Wer dieses Bild sozusagen akustisch für sich umsetzen kann, dem ist vollkommen wurscht, ob Chisholm da, wo er den Rahmen eines Jazzmusikers verlässt, noch „authentisch“ wirkt. Mehrere Aufnahmen sind mit einem so albernen Begriff überhaupt nicht zu fassen, denn das zentrale Anliegen - oder doch zumindest am häufigsten vorkommende - schüttelt keiner so aus dem Ärmel des persönlichen Ausdrucks, man muss es erlernen, es erfordert Musiktheorie.
Gleich das erste Album nämlich konfrontiert uns mit einer Klanglichkeit, die einem „überirdisch“ erscheinen mag: Altsaxophon und Baßklarinette, in mehreren Schichten überlagert, spielen ein bestimmtes, systematisch ausgesuchtes Spektrum von Obertönen, auch unter Verwendung der Fibonacci-Reihe. Chisholm bringt dazu in dem umfangreichen booklet detaillierte Erörterungen (der Rezensent räumt ein, dass er nicht vollständig durchblickt, insbesondere weil Mathematik jenseits von Addition und Subtraktion rasch seine Augen ermüden.)
Aber es klingt toll. Und Chisholm reizt die Oberton-Ästhetik nicht nur solistisch aus, sondern auch mit den sieben Altsaxophon-Kollegen von CD 12 „Autopoetica“, ja selbst mit dem Lucerne Jazz Orchestra (CD 6 „Mute Densitiy“); man muss ihn also auch zum Kreis der gegenwärtigen Big Band-Innovatoren zählen.
Ja, es gibt Jazz in dieser Box: das zum Niederknien schöne Kammertrio (aufgenommen in einer Dorfkirche in der englische Provinz) „Breve“ (CD 10) mit John Taylor und Matt Penman; die „so als ob“-Standards von „Nearness Live“ (CD 3) wiederum mit Penman und dem Schlagzeuger Jochen Rückert, also der Rhythmusgruppe von Root 70.
Nicht in diese Box geschäfft (sie folgt Chisholms Glückszahl „13“, die auch mit dem 13. Oberton in Verbindung steht) hat es ein weiteres elektrisches Trio mit Jonas Burgwinkel und Simon Nabatov (Loft-Besucher schwärmen davon). Das elektrische Trio hier hat wiederum Rückert als Drummer. Zu dem sehr frei changierenden Jazzrock gehört auch das Titelstück „Fragmented Teaching“, das auf einem unglaublichen Vorgang basiert. Chisholm schreibt, er habe die Noten für das Stück auf einen Schießstand „geschmuggelt“ und 13 mal aus einer Entfernung von 25 Metern auf die Partitur geschossen. Man kann sich vorstellen, wie die aussah - nachdem später auch noch unbeabsichtigt Bier darüber geflossen war. Gleichwohl, Chisholm und Kollegen haben das Papier getrocknet und zwei Tage später im Studio abgespielt, was noch zu erkennen war. Wer dies als 12-Ton-Reihe ausgäbe, würde keine Lacher ernten.
Simon Nabatov kommt am E-Piano nicht so heraus wie am Flügel, am letzteren ist hier in einer der humor-zugewandten Projekte beteiligt, nämlich sehr ausgefallen covers von Hayden´s phonetischem Namensvetter Joseph Haydn. Und da er in seinen Bearbeitungen sich wirklich sehr weit von den „Originalen“ entfernt, erklärt er dem Vorgänger in einem absolut smarten Text, was er da so macht. Dass z.B. der Rhythmus, mit dem den Auszug aus dem Flötenkonzert unterlegt, aus dem Teil der Neuen Welt stamme, der heute Brasilien heisst. Denn zu Joseph Hayden´s Zeiten war die Samba ja noch nicht erfunden.
Mehrere Einzelprojekte lassen sich mit „Song“ überschreiben. Dazu gehört das Treffen mit Lula Pena, einer Fado-Sängerin mit einen dunklen Alt, wie man es noch nicht gehört hat. Songs enthält CD 8 „The Dharma Cowboy“, wo Chisholm Gitarre spielt und mit der Stimme ganz nah am Rockabilly-Mikrophon hängt (hier hätte eine Straffung gut getan) oder auch die instrumentalen Songs der letzten CD „Blood flows from Scotland to Armenia“, die alle auf schottischen Traditionals basieren - bis auf den track „Armenian Dreamtime“, wo Pina Bettina Rücker mit Handbewegungen an einem Dutzend großen Glasschüsseln einen weichen Orgelpunkt unter Chisholms Altsaxophon legt.
Eine Rezension eines solchen Mammutprojektes kann nur summarisch ausfallen, soll nicht ein Essay im Umfang eines Taschenbuches daraus werden. Die ********** gelten der Box, dem Gesamtprojekt, nicht jeder einzelne Teil verdient diese Wertung.
(Die Box wird als ganze, aber auch in einzelnden CDs sowohl auf Tonträgern als auch als download auf der Webseite des Künstlers angeboten.)
„13 Views of the Heart´s Cargo“ ist nichts anderes als eine klingende Realdefinition von Vielfalt, eine Vielfalt die erstaunlicherweise nicht eklektisch auseinanderfällt, ins Beliebige, sondern durch einen starken gestalterischen Kern zusammengehalten wird.
erstellt: 07.05.13
©Michael Rüsenberg, 2013. Alle Rechte vorbehalten