LOOSE TUBES Dancing on Frith Street *********
01. Yellow Hill (Django Bates), 02. Discovering Metal, 03. Last Word (Eddie Parker), 04. Shelley (Steve Berry), 05. Godbucket (Bates), 06. Like Life, 07. Village (Batchelor)
Eddie Parker - fl, Dai Pritchard - cl, bcl; Steve Buckley, Iain Ballamy, Mark Lockheart, Julian Nicholas, Ken Stubbs - saxes, Lance Kelly, Chris Batchelor, Ted Emmett, Paul Edmonds, Noel Langley - tp, John Harborne, Steve Day, Paul Taylor, Richard Pywell, Ashley Slater - tb, Dave Powell - tuba, Django Bates - keyb, John Parricelli - g, Steve Watts - b, Martin France - dr, Thebe Lipere - perc
rec. 13. - 15.09.1990
Lost Marble LM005
Die Jahre von 1984 bis 1990 gehören zu den aufregendsten der britischen Jazzgeschichte. Es waren die Jahre von Loose Tubes, eines sich kollektiv gebenden wilden Haufens, der streng genommen nie ein solches war, weil es kaum je seinen primus inter pares zu verbergen wußte: Django Bates, Jahrgang 1960, einer der bedeutendsten Musiker des britischen Jazz.
Bates ist nicht der einzige von heute plus/minus 50jährigen, die damals für Durchzug in der britischen Szene sorgten und heute noch im Geschäft sind: nämliches gilt für Iain Ballamy, Steve und Julian Argüelles, John Paricelli, Martin France, Chris Batchelor, Steve Buckley (auf völlig andere Weise auch für Ashley Slater), mit Abstrichen auch für den Rest dieses Ensembles.
Sie alle bilden einen Kreis von Jazzmusikern, die - vielleicht vergleichbar mit den Kollegen aus der Initiative Kölner Jazzhaus e.V. - die erste Generation derer stellten, welche Jazz-Expertise nicht in mühsamer Einzelarbeit, im Abhören amerikanischer Modelle, erworben haben, sondern an Hochschulen und mehr oder minder zu Ende geführten Studien dort.
Kein Zufall, dass - wie in Köln - manche von ihnen heute als Professoren den Nachwuchs schulen (Django Bates in Kopenhagen, Steve Berry hat ein Talent wie Gwilym Simcock für den Jazz erwärmt).
Damals waren sie Twens, die mit Ungestüm und herrlich krausen Ideen auf die Bühne stürmten und ein fasziniertes Publikum hinterließen, von dem sich durchaus glaubwürdig denken lässt, dass es hernach auf der Frith Street in Soho die Gliedmaßen nicht beherrschen konnte - was diesem Album zum Titel geworden zu sein scheint.
In der Frith Street in London liegt der Ronnie Scott´s Club, wo diese Großformation ihre letzten Konzert gab. Danach mußte sie noch für einen gig nach Spanien, der sich nicht stornieren ließ - absurd für eine Band, die nach diesen drei Tagen im September 1990 im Grunde aufgelöst war. Loose Tubes hatten binnen 6 Jahren alles erreicht, was (außer einer Amerika-Tournee) zu erreichen war, schon im vierten Jahr hatten sie keinen Geringeren als Teo Macero als Produzenten gewonnen („Open Letter“, 1987), Teo Macero, der legändäre Mann hinter Miles Davis. Nicht zuletzt, die Band war insoweit „demokratisch“ organisiert, als das Veto eines von 21 Mitgliedern eine Entscheidung zu Fall bringen konnte.
„Dancing on Frith Street“ dokumentiert den größten Reifegrad der anfangs noch unfertigen Musiker, dokumentiert noch einmal den Witz, die Kraft, den unverschämten Ekklektizismus, die rasante Spiellust einer wahrhaft legendären Band - legendär, weil sich für sie kaum ein Pendant finden lässt. Legendär auch, weil sich die ins Kraut schießenden Erinnerungen derer, die sie erlebt haben (z.B. im Stadtgarten Köln irgendwann Ende der 80er) nun wunderbar noch einmal ans Reale heften können.
„Dancing on Frith Street“ ist das vierte Album der Loose Tubes, es ist repräsentativ, es ist das beste!
Dabei kann man - Paradox Nr 1 - das Titelstück darauf gar nicht finden. Die Band hat es auch gar nicht gespielt; sie konnte es gar nicht spielen, weil dafür gar kein Big Band-Arrangment vorhanden war. „Dancing on Frith Street“ hat Django Bates zwar in Erinnerung an einen früheren Auftritt von Loose Tubes bei Ronnie Scott´s geschrieben - aber 1988 in einer Quartett-Version für das Album „Dig?“ von Bill Bruford´s Earthworks, dem er zeitgleich angehörte.
Überhaupt sind die discographischen Querbezüge interessant: der Mambo-Rhythmus, dem „Godbucket“ unterliegt, ist eines von zwei rhyhtmischen Modellen von „Up North“, mit Bruford 1986 und 1992 veröffentlicht. Django´s „Like Life“, eine ausschweifende Ballade mit Afro-Touch, gehört 7 Jahre später zum Repertoire, mit dem er sich für den dänischen Jazzpar-Preis bedankt. Auch „Discovering Metal“ hat er später wieder aufgegriffen (auf „Summer Fruits“, 1993). Steve Berry´s Ballade „Shelley“ stammt aus dem zweiten Album von Loose Tubes („Delightful Precipice“, 1986), das rockige „Yellow Hill“ aus dem Debüt von 1984, Eddie Parkers stolzer Reggae „Last Word“ aus der Teo Macero-Produktion „Open Letter“ von 1987.
Diese einmalige Mischung aus Jazz und Rock, mit Anleihen bei HiLife und township music, Musicals und Gassenhauern, dieser akustische comic wird hier mit großer Rafinesse aufgeblättert.
Und die Rolle des primus inter pares, des - wie wir heute wissen - jazzhistorisch bedeutendsten Mitgliedes dieses „unmöglichen“ Kollektivs? Django Bates? Hier eröffnet sich ein weiteres Paradox: vier von sieben Titeln des Repertoires stammen von ihm, einerseits. Hier und da dringen seine tonal absaufenden keyboard-Farben durch, aber er genehmigt er sich kein einziges richtiges Solo! Das geschieht keineswegs zum Mangel dieser Produktion, denn er hat ein paar starke Stücke beigesteuert, am stärksten vielleicht „Godbucket“, das von zirzensischen Bläsereinwürfen durchzogen wird.
Die bizarre Form dieser Linien, die John Fordham in den liner notes sehr schön mit „Frankenstein Themen“ anspricht, findet sich dort und vielleicht mehr sogar im abschließenden „Village“ von Chris Batchelor. Sein Ekklektizismus (für den er später, 1997 mit Steve Buckley in „Life as we know it“ eine weitere Kostprobe gegeben hat) steht dem von Bates kaum nach: „Village“ beginnt mit einem Schunkellied, wandert über einen New Orleans backbeat zu einem Calypso und moduliert später unentwegt über patterns aus (westafrikanischem) HiLife und (südafrikanischer) township music.
Schluß, Ende, aus. Man ist mit dem Publikum at Ronnie´s aus dem Häuschen!
weitere audio files von Django Bates für JNE-Sponsoren
erstellt: 24.09.10
01. Yellow Hill (Django Bates), 02. Discovering Metal, 03. Last Word (Eddie Parker), 04. Shelley (Steve Berry), 05. Godbucket (Bates), 06. Like Life, 07. Village (Batchelor)
Eddie Parker - fl, Dai Pritchard - cl, bcl; Steve Buckley, Iain Ballamy, Mark Lockheart, Julian Nicholas, Ken Stubbs - saxes, Lance Kelly, Chris Batchelor, Ted Emmett, Paul Edmonds, Noel Langley - tp, John Harborne, Steve Day, Paul Taylor, Richard Pywell, Ashley Slater - tb, Dave Powell - tuba, Django Bates - keyb, John Parricelli - g, Steve Watts - b, Martin France - dr, Thebe Lipere - perc
rec. 13. - 15.09.1990
Lost Marble LM005
Die Jahre von 1984 bis 1990 gehören zu den aufregendsten der britischen Jazzgeschichte. Es waren die Jahre von Loose Tubes, eines sich kollektiv gebenden wilden Haufens, der streng genommen nie ein solches war, weil es kaum je seinen primus inter pares zu verbergen wußte: Django Bates, Jahrgang 1960, einer der bedeutendsten Musiker des britischen Jazz.
Bates ist nicht der einzige von heute plus/minus 50jährigen, die damals für Durchzug in der britischen Szene sorgten und heute noch im Geschäft sind: nämliches gilt für Iain Ballamy, Steve und Julian Argüelles, John Paricelli, Martin France, Chris Batchelor, Steve Buckley (auf völlig andere Weise auch für Ashley Slater), mit Abstrichen auch für den Rest dieses Ensembles.
Sie alle bilden einen Kreis von Jazzmusikern, die - vielleicht vergleichbar mit den Kollegen aus der Initiative Kölner Jazzhaus e.V. - die erste Generation derer stellten, welche Jazz-Expertise nicht in mühsamer Einzelarbeit, im Abhören amerikanischer Modelle, erworben haben, sondern an Hochschulen und mehr oder minder zu Ende geführten Studien dort.
Kein Zufall, dass - wie in Köln - manche von ihnen heute als Professoren den Nachwuchs schulen (Django Bates in Kopenhagen, Steve Berry hat ein Talent wie Gwilym Simcock für den Jazz erwärmt).
Damals waren sie Twens, die mit Ungestüm und herrlich krausen Ideen auf die Bühne stürmten und ein fasziniertes Publikum hinterließen, von dem sich durchaus glaubwürdig denken lässt, dass es hernach auf der Frith Street in Soho die Gliedmaßen nicht beherrschen konnte - was diesem Album zum Titel geworden zu sein scheint.
In der Frith Street in London liegt der Ronnie Scott´s Club, wo diese Großformation ihre letzten Konzert gab. Danach mußte sie noch für einen gig nach Spanien, der sich nicht stornieren ließ - absurd für eine Band, die nach diesen drei Tagen im September 1990 im Grunde aufgelöst war. Loose Tubes hatten binnen 6 Jahren alles erreicht, was (außer einer Amerika-Tournee) zu erreichen war, schon im vierten Jahr hatten sie keinen Geringeren als Teo Macero als Produzenten gewonnen („Open Letter“, 1987), Teo Macero, der legändäre Mann hinter Miles Davis. Nicht zuletzt, die Band war insoweit „demokratisch“ organisiert, als das Veto eines von 21 Mitgliedern eine Entscheidung zu Fall bringen konnte.
„Dancing on Frith Street“ dokumentiert den größten Reifegrad der anfangs noch unfertigen Musiker, dokumentiert noch einmal den Witz, die Kraft, den unverschämten Ekklektizismus, die rasante Spiellust einer wahrhaft legendären Band - legendär, weil sich für sie kaum ein Pendant finden lässt. Legendär auch, weil sich die ins Kraut schießenden Erinnerungen derer, die sie erlebt haben (z.B. im Stadtgarten Köln irgendwann Ende der 80er) nun wunderbar noch einmal ans Reale heften können.
„Dancing on Frith Street“ ist das vierte Album der Loose Tubes, es ist repräsentativ, es ist das beste!
Dabei kann man - Paradox Nr 1 - das Titelstück darauf gar nicht finden. Die Band hat es auch gar nicht gespielt; sie konnte es gar nicht spielen, weil dafür gar kein Big Band-Arrangment vorhanden war. „Dancing on Frith Street“ hat Django Bates zwar in Erinnerung an einen früheren Auftritt von Loose Tubes bei Ronnie Scott´s geschrieben - aber 1988 in einer Quartett-Version für das Album „Dig?“ von Bill Bruford´s Earthworks, dem er zeitgleich angehörte.
Überhaupt sind die discographischen Querbezüge interessant: der Mambo-Rhythmus, dem „Godbucket“ unterliegt, ist eines von zwei rhyhtmischen Modellen von „Up North“, mit Bruford 1986 und 1992 veröffentlicht. Django´s „Like Life“, eine ausschweifende Ballade mit Afro-Touch, gehört 7 Jahre später zum Repertoire, mit dem er sich für den dänischen Jazzpar-Preis bedankt. Auch „Discovering Metal“ hat er später wieder aufgegriffen (auf „Summer Fruits“, 1993). Steve Berry´s Ballade „Shelley“ stammt aus dem zweiten Album von Loose Tubes („Delightful Precipice“, 1986), das rockige „Yellow Hill“ aus dem Debüt von 1984, Eddie Parkers stolzer Reggae „Last Word“ aus der Teo Macero-Produktion „Open Letter“ von 1987.
Diese einmalige Mischung aus Jazz und Rock, mit Anleihen bei HiLife und township music, Musicals und Gassenhauern, dieser akustische comic wird hier mit großer Rafinesse aufgeblättert.
Und die Rolle des primus inter pares, des - wie wir heute wissen - jazzhistorisch bedeutendsten Mitgliedes dieses „unmöglichen“ Kollektivs? Django Bates? Hier eröffnet sich ein weiteres Paradox: vier von sieben Titeln des Repertoires stammen von ihm, einerseits. Hier und da dringen seine tonal absaufenden keyboard-Farben durch, aber er genehmigt er sich kein einziges richtiges Solo! Das geschieht keineswegs zum Mangel dieser Produktion, denn er hat ein paar starke Stücke beigesteuert, am stärksten vielleicht „Godbucket“, das von zirzensischen Bläsereinwürfen durchzogen wird.
Die bizarre Form dieser Linien, die John Fordham in den liner notes sehr schön mit „Frankenstein Themen“ anspricht, findet sich dort und vielleicht mehr sogar im abschließenden „Village“ von Chris Batchelor. Sein Ekklektizismus (für den er später, 1997 mit Steve Buckley in „Life as we know it“ eine weitere Kostprobe gegeben hat) steht dem von Bates kaum nach: „Village“ beginnt mit einem Schunkellied, wandert über einen New Orleans backbeat zu einem Calypso und moduliert später unentwegt über patterns aus (westafrikanischem) HiLife und (südafrikanischer) township music.
Schluß, Ende, aus. Man ist mit dem Publikum at Ronnie´s aus dem Häuschen!
Django Bates über das - auf der CD nicht vorhandene - Titelstück Dancing on Frith Street
weitere audio files von Django Bates für JNE-Sponsoren
erstellt: 24.09.10
©Michael Rüsenberg, 2010, Alle Rechte vorbehalten