VIJAY IYER Break Stuff *********
01. Starlings (Iyer), 02. Chorale, 03. Diptych, 04. Hood, 05. Work (Monk), 06. Taking Flight (Iyer), 07. Blood Count (Ellington), 08. Break Stuff (Iyer), 09. Mystery Woman, 10. Geese, 11. Countdown (John Coltrane), 12. Wrens (Iyer)
Vijay Iyer - p, Stephan Crump - b, Marcus Gilmore - dr
rec. 06/2014
ECM 2420 4708937, LC 02516
Vijay Iyer hat nach dem Wechsel von ACT zu ECM einen opulenten Start hingelegt. Nach den Erkundungen eines neuen Thirdstream („Mutations“), ein Orchesterwerk in Anlehnung an Stravinsky zu einem Hindu-Fest („Rites of Holi“) und nun, gleichsam ein Schritt „zurück“, in klassisches Jazz-Territorium, das Piano Trio.
In diesem Fall dasjenige, das seit nunmehr 11 Jahren in gleicher Besetzung agiert, mit dem unauffällig routinierten Stephan Crump und dem ewig brillanten Marcus Gilmore.
Harvard-Professor Iyer produziert Konzeptalben.
Das Thema hier mag ambivalent sein, denn „Break Stuff“ kann man ebenso verstehen als Material, gewonnen aus Pausen, wie auch als Material, herausgebrochen aus größeren Projekten (die zentrale Innovation, „Hood“, gehört dazu).
„Break Stuff“ überrascht zunächst einmal durch eine Haltung, eine zurückgenommene Dynamik, ja es ergeht sich bisweilen in einem nahezu „nordischen“ Ton. „Wrens“ z.B. würden gewiss viele in einem blindfold test einem norwegischen Team zuordnen.
Aber, aber, obwohl Iyer diesmal nichts von Michael Jackson oder Stevie Wonder aufgreift, ist seine Musik rockiger denn je:
„Diptych“ mit seinem dunklen 6/4 ostinato zappelt auf einem veritablen Rock-Groove.
„Geese“ beginnt mit gestrichenem Bass, arco, und schließt mit einem Rock-Riff.
„Taking Flight“ nimmt eine ähnlich überraschende Entwicklung; nach einem langen Piano-Intro schaukelt sich Marcus Gilmore mit wechselnden Akzenten über den gesamten drum set auf, das Stück verliert an Dynamik, scheint auslaufen zu wollen - da schlägt Vijay Iyer bei 4:00 plötzlich drei Akkorde mit Afterbeat an, was die Rhythmusgruppe sogleich als Reggae umsetzt!
Man möchte schreien vor Vergnügen ob der Platzierung dieses breaks. (Wiederholtes Hören offenbart, es ist eine Inszenierung: Iyers erster Akkord fällt ineins mit einem tom-Schlag von Gilmore, das Trio exekutiert eine letzte Variante zu dem 3/4-Takt, der dem ganzen Stück „gedacht“ unterliegt).
Wie gesagt, die zentrale Innovation der Produktion spricht aus „Hood“, früher einmal „das rhythmische Rückgrat eines Sextett-Stückes. Dieses Skelett offenbarte während der Aufführung Details an Klang, Struktur und Kontrapunktik, die uns neu waren“, wie Iyer in den knappen liner notes schreibt.
„Hood“ ist ein poly-metrisches Kabinettstückchen aus dem ewigen Ideenbruch der Minimal Music, wie man es im Jazz noch nicht gehört hat. So etwas kann man nicht er-improvisieren, das muss man konstruieren, komponieren.
Möglicherweise ist „Hood“ Anlass für den normativen und logischen Purzelbaum, den DIE ZEIT hier schlägt: „Man hört ein Jazztrio, aber keinen Jazz. Die gängigen Klischees fehlen.“
Der erste Satz ist Quatsch; er würde bedeuten, dass jegliche Innovation aus dem Jazz „dem Jazz“ nicht mehr zugerechnet werden könnte. Das ist nackter Marsalismus.
Der zweite Zitat-Satz stimmt. Er trifft auf Vijay Iyer als Konzeptionalisten wie auch als Pianisten zu, der nicht gerade in der Virtuosenklasse der Bollanis und Jarretts spielt, aber große Vorzüge als Rhythmiker besitzt, z.B. ein unglaubliches timing in der rechten Hand.
Das spielt er vor allem in zwei der drei Standards aus (Monk´s „Work“ und John Coltrane´s „Countdown“). Ersteres rekurriert zumindest teilweise noch auf einen swing-Rhythmus im herkömmlichen Sinne, wenn auch eher im Sinne des heutigen broken swing - „Countdown“ swingt zwar wie jeck, verweigert aber konsequent die entsprechenden patterns (obwohl das Original von 1959 als uptempo swing dies nahelegt).
Iyer und Gilmore gestalten die erste Hälfte als exzessives Duo, erst bei 3:18 steigt Crumb ein, und Gilmore erhält erneut Gelegenheit zu einem seiner zahlreichen Solo in dieser Produktion.
„Break Stuff“ wäre guter Stoff für die vielen gut ausgebildeten Pianisten an deutschen Hochschulen, die es vielfach mit guten Pianospiel gut sein lassen.
erstellt: 12.02.15
©Michael Rüsenberg, 2015. Alle Rechte vorbehalten