ROBERT GLASPER TRIO Covered *****
01. Intro (Glasper), 02. I don´t even care (Glasper, Gray, Gray), 03. Reckoner (Yorke, Greenwood, Greenwood, O´Brien, Selway), 04. Barangrill (Joni Mitchell), 05. In case you forgot (Glasper), 06. So beautiful (Huston, Johnson), 07. The Worst (Chilombo, Hugo, Robinson, Warfield, Williams, Carter), 08. Good Morning (Stephens, Sanders, Ramsey, Newbill), 09. Stella by Starlight, 10. Levels (Bilal Oliver), 11. Got over (Glasper, Belafonte), 12. I´m dying of Thirst (Bergman, Bergman, Lamar, Jones)
Robert Glasper - p, Vicente Archer - b, Damion Reid - dr
rec. 02. + 03.12.2014
Blue Note 006025472456700
Ein merkwürdiges Album: formal, konzeptionell, inhaltlich, aber - ausweislich der Sternewertung - nicht ganz schlecht (nicht im Sinne von Marcel Reif, wo „nicht ganz schlecht“ dem höchsten Lob nahekommt).
Formal: „Covered“ ist ein Live-Album, aber wiederum nicht das, was man sich unter einem Live-Mitschnitt gewöhnlich vorstellt. Robert Glasper begab sich an zwei Tagen in das berühmte Studio A von Capitol Records in Hollywood, wo Frank Sinatra, Nancy Wilson, die Beach Boys und, ja, Cannonball Adderley aufgenommen haben. Diesem Studio schreibt er „eine ganz eigene Magie“ zu.
Live-Aufnahmen in Studios haben eine lange Tradition in der Recording History, meist werden sie mit der besseren Aufzeichnungstechnik begründet. Die Erfahrungen damit aber sind sehr gemischt; die „klinische“ Atmosphäre lässt sich kaum eliminieren, zumal solche Räume nur kleine Publika zulassen und ihnen alles fehlt, was den vibe einer gleichfalls kleinen, aber atmosphärisch völlig anders ausgestatteten location ausmacht, des legendären „jazzclub“.
An jenen beiden Dezembertagen 2014 dürften ein Dutzend, bestenfalls 20 Zuhörer in Studio A gewesen sein, die von Glasper im Eröffnungstrack launig begrüsst werden - ganz so, als befänden sie sich in einem Club.
Wenig später aber verabschiedet sich Glasper von der „Live“-Dramaturgie, und die angebliche Live-Ästhetik erweist sich als pure Prätention:
track 3 dauert insgesamt 5:07, findet aber bei 4:10 mit einer langen Blende einen Schluss und steht bei 4:34 mit einer Einblende wieder auf, mit der Coda, völlig aus dem Kontext gerissen; so wie dieses endet die Hälfte der Stücke nicht mit Beifall, sondern mit Blenden.
Track 5 zerfällt in verschiedene Sektionen (und wird wiederum, völlig un-live-mässig ausgeblendet), track 6 wird anmoderiert (für die Megaphonstimme von Musiq Soulchild), aber der wichtigste Gast der ganzen Produktion, Harry Belafonte, wird in track 11 nicht angekündigt - und mit fast einer Reissblende verabschiedet. War er überhaupt anwesend in Studio A? Die liner notes geben darüber keine Auskunft, lediglich der Journalisten zugängliche Text raunt davon, es handele sich um „die Vertonung eines autobiographischen Monologs“.
Das Album schließt, wie die meisten tracks, mit einer Blende - endet so ein Live-Album?
Konzeptionell: „Covered“ konzentriert sich auf Interpretationen fremder Stücke, aber auch eigener („I don´t even care“, „So beautiful“), ein Song von Radiohead ist dabei, einer von Joni Mitchell, einer des derzeit größten aller US-Rapper („I´m dying of Thirst“ von Kendrick Lamar und Quincy Jones), ja auch ein Jazz-Standard („Stella by Starlight“).
Aber, cover versions waren immer schon Programm von Robert Glasper, und keine hier besticht durch Eindringlichkeit wie bei „Smells like Teen Spirit“ (auf „Black Radio“) oder „Jesus Children“ mit der überragenden Lalah Hathaway (auf „Black Radio 2“).
Apropos „Black Radio“, diese zu recht gefeierten, sehr erfolgreichen Alben, mit denen Glasper stellenweise die Topographie von Rhythm & Blues und Jazz neu modelliert, stehen ursächlich für den Bastard-Status von „Covered“.
„Ich habe das Klavier vermisst“, war seine erste Überlegung, um zu einem rein akustischen Format und zu seinem Ursprungstrio zurückzukehren. Aber mit dem Druck der hohen Auflagen von „Black Radio“ könne er nicht einfach wieder nur Jazz spielen: „Also entschied ich mich für einen goldenen Mittelweg (...) Es ist etwas, das zugleich sowohl den Appetit des R&B/Hip-Hop-Publikums stillt als auch den meines Jazzpublikums.“
Er bezeichnet damit genau das Problem dieser Produktion: sie wird weder der einen noch der anderen Fraktion gerecht. Und Glasper´s größter Gegner ist in diesem Falle...er selbst, in Gestalt eines eindrucksvollen Katalogs an YouTube-Videos, die für beide Fraktionen jeweils das in den Schatten stellen, was ihnen hier geboten wird.
Mag sein, dass Vicente Archer und Damion Reid Glasper´s „Lieblingsmusiker auf ihrem Instrument“ sind - die besten sind es ganz sicher nicht.
Der wasserdichte Beleg für diese These sind fast alle Aufnahmen mit Derrick Hodge, b, und Chris Dave, dr, insbesondere der sensationelle Auftritt bei La Villette in Paris (das auf YouTube falsch als „Live at the Village Vanguard“ etikettiert ist) - bessere Dokumente für „Interaktion“, für „in time- und trotzdem frei Spielen“, für „Polymetrik“ lassen sich kaum finden.
Und damit sind wir bei Punkt 3
Inhaltlich: wer „La Villette“ gesehen hat, den wird fast alles auf „Covered“ kalt lassen; Robert Glasper agiert hier weit unter seinen Möglichkeiten, wie ein Teebeutel seiner selbst. Der „goldene Mittelweg“, auf dem er sich zu bewegen meint, ist klein-quadratisch gepflastert, auf dass jeder sein Muster wiederfinde.
Mit Radiohead („Reckoner“) weiß er wenig anzufangen; das ist erstaunlich, wenn man auch hier wieder ein YouTube-Video heranzieht („Everything is in it´s right Place“), mit Joni Mitchell („Barangrill“) wiederum viel.
Harry Belafonte wird in 2 Minuten abgefertigt („Got over“), und am meisten Jazz-Glasper steckt noch in den 13 Minuten von „In Case your forgot“, sein beiläufiges Piano-Parlando, das in tiefe Grooves eintaucht - aber hier nur als Stellvertreter solcher Momente, wo er mit anderem Personal das Publikum durch seine Wiederholungsformeln zur Weißglut gebracht hat.
erstellt: 10.06.15
©Michael Rüsenberg, 2015. Alle Rechte vorbehalten