That´s Jazz? - That´s Feuilleton! (3)

„Das Feuilleton ist (...) der Ort in der Zeitung, wo der Stuss sich drängen darf. Auch und gerade die Chefredaktionen sehen das so. Was im Feuilleton steht, wird nicht ganz ernst genommen.“
Die Autorin dieser Zeilen (DLF Programmheft 12/2004) weiß, wovon sie spricht, sie sitzt im Feuilleton: Franziska Augstein von der Süddeutschen Zeitung.
Wir wollen annehmen, dass Sie dabei weniger einen Gustav Seibt oder Jürgen Kaube oder Christian Geyer im Auge hat, aber vielleicht dürfen wir ihr Interesse auf ihr eigenes Blatt lenken, z.B. was der in Jazzdingen noch nicht aufgefallene Jonathan Fischer über das neue Album von Christian Scott - und auch mit dessen Hilfe - lostritt (SZ vom 16.02.10): „Yesterday you said Tomorrow" (Rezension hier) sei sein „bislang politischstes Album“, laut Bildunterschrift gilt Scott „als Erbe von Miles Davis - nicht nur weil Funk und Jazz, sondern auch weil er politischen Furor mit Virtuosität verbindet.“
Ob der 26jährige Trompeter aus New Orleans Funk und Jazz verbindet, lässt sich sachlich überprüfen, weil es sich um je musikalische Parameter handelt (tatsächlich spielt er keineswegs Funk im Sinne von Miles). Der Stuß der zweiten Satzhälfte erschließt sich insbesondere, weil die Aussage „politischen Furor (= Angriffslust) mit Virtuosität verbinden“ viel eher auf Guido Westerwelle als auf Christian Scott zutrifft. Gemeint ist ja nicht plakatives Maulheldentum, sondern „instrumentale Virtuosität“.
„Politisch“ bei Christian Scott sind aber nur die Kompositionstitel; da wo es darauf ankäme, in den liner notes, hält er weitgehend die Klappe, und auch der Hauptautor Ashley Kahn jubelt ausschließlich über die Musik. Zu recht übrigens.

Dafür lässt Scott es krachen im Interview mit Fischer (SZ): „Ich halte Politik im Jazz für genauso wichtig wie etwa virtuose Trompetentechnik.“ Keine Nachfrage, warum er dann beispielsweise auf Songtexte verzichte, bei Bühnenansagen lediglich seine tollen Kumpels vorstelle etc. Es klingt halt schön authentisch, wenn ein Schwarzer über den schwarzen Übervater spricht: „Sehen Sie sich Miles Davis an. Wenn er dem Publikum den Rücken zudrehte, konnte man ihn natürlich für ein Arschloch halten. Aber er repräsentierte mit seiner Feindseligkeit auch einen Großteil des schwarzen Amerika, den der Mainstream übergangen hatte.“
Nun gut, wir Mitteleuropäer können durchaus die politischen Erfahrungen eines jungen Schwarzen nachvollziehen: „Diese ganze Diskussion über Obamas Gesundheitspolitik hat mal wieder gezeigt, wie Habgier und Egoismus das Land regieren.“ Nur, ob überhaupt und wenn ja: wie diese außer-musikalischen Phänomene aus & durch seine Kunst sprächen, davon hat Christian Scott keine Ahnung. Wenig auch vom „politischen Miles“.
Alles Nötige dazu hat Gerald Early gesagt: „Miles Davis hat nie über Politik gesprochen, nie angedeutet, ob er überhaupt an einer Wahl teilgenommen hat, er hat immer nur gesagt, dass er ´diesen ganzen politischen Scheiß´ nicht mag“. (in: Gerald Early, Hg, „Miles Davis and American Culture“, St. Louis, 2001, S. 20)

©Michael Rüsenberg, 2010. Alle Rechte vorbehalten