FELIX HAUPTMANN Talk *******

01. Talk (Hauptmann), 02. Tulip, 03. Pinball, 04. Haunting, 05. Teardrops, 06. Look, 07. Walker, 08. Calabria, 09. 13



Felix Hauptmann - p, Reza Askari - b, Fabian Arends - dr, Christian Weidner - as (2,4,6)

rec. 04.-07.06.2019
Klaeng Records 046



Wer Felix Hauptmann noch als Begleiter der Sängerin Laura Totenhagen in Auge & Ohr hat, dem gibt das eröffnende Titelstück Rätsel auf.
Der sucht das Digipack dieses Albums nach erläuternden Informationen ab.
Aber mehr als die Zuschreibung „Piano“ findet er/sie nicht.
Dabei klingt das Instrument des Bandleaders nämlich alles andere als nach Piano.
Man glaubt dissonante Akkorde von einer Orgel zu hören, elektronische Tongeneratoren, absaufende Tonhöhen, rotierende Lautsprecher wie in den Leslie-Cabinets hinter vielen Organisten.
Gegen 2:23 setzt die Rhythmusgruppe ein, mit einem Ostinato im 6/4-Takt.
Die melodischen Linien vom keyboard werden ringmoduliert. Das ist zwar ein altes Verfahren, unter den heutigen Anwendern würde man am ehesten auf Stale Storlokken aus Norwegen tippen.
Aber nein, es ist Felix Hauptmann, 1993 geboren im deutschen Südwesten und ab 2012 Student des Jazzpianos an der Musikhochschule Köln, u.a. bei Hubert Nuss und Florian Ross.
Ein einziges Mal noch wird er in den 9 tracks von „Talk“ vom Klang eines normalen Flügels abweichen, in „Calabria“ kurz vor Schluß.
Und das wirkt noch mysteriöser, weil man, erst als Reza Askari ein Baß-Solo spielt, wirklich wahrnimmt, was man auf der langen Strecke bis dorthin nur geahnt hat:
dass nämlich die tiefe Baßbegleitung eben nicht vom Kontrabass, sondern irjenswie wieder aus einem elektro-akustisch verfremdeten Piano stammen dürfte.
cover hauptmannFür drei Stücke hat Hauptmann Christian Weidner dabei, in langen Jahren gereift an der Seite von Gunter Hampel, der das Altsaxophon ausgreifen und auch in Balladen den shouter durchscheinen lässt.
„Tulip“ ist eine solche, im rubato sich aufschaukelnde Ballade.
„Haunting“ mutiert im B-Teil zur Ballade, nachdem es frei-metrisch gestartet ist.
„Look“ schließlich ist zentriert um ein eintaktiges 4/4-ostinato, das freilich nur der Bassist durchhält, Hauptmann und Weidner verstreuen das wenige thematische Material, und das meiste sind improvisierte Varianten davon.
„Pinball“ gehorcht einem ähnlichen Modell; mit dem Unterschied freilich, dass der aufreizende, schnelle ostinato-Teil im B-Teil in erheblich reduziertem Tempo gespiegelt wird, mit McCoy Tyner-artigen, wuchtigen Akkorden - und dann wieder in die fröhlichen 4/4 zurückspringt.
„Pinball“ ist kurz, ähnlich kurz wie „Teardrops“; in dessen sequenziertem, d.h. in verschiedenen Tonarten wiederholten Drei-Ton-Motiv mag man einen weiteren Einfluss erkennen, den von Carla Bley.
Damit könnte man einen Schlüssel in der Hand haben, um den Komponisten Felix Hauptmann zu charakterisieren: seine Vorliebe zu einfacher Motivik  und deren Auskosten, Ausschmücken, nein: Verarbeiten im Kollektiv.
Das Trio lässt sich dabei gern auch aus der Form heraustragen, mindestens in den drei rubato-Stücken.
Anderseits gehorcht es der Form  wiederum aber auch streng.
Ein Spagat, klanglich, formal, stilistisch - ein frisches Debütalbum.

erstellt: 25.05.20
©Michael Rüsenberg, 2020. Alle Rechte vorbehalten