Münchner G´schichten der Jazzgeschichtsphilosophie (18)

Wir wollen der geliebten SZ dankbar sein.
Heuer legt sie die Wurzeln des romantischen Politikverständnisses in unserer kleinen Welt frei wie kaum jemand zuvor.
Anlass für diese schöne Gedankenleistung ist das neue Album von Vijay Iyer mit Linda May Han Oh und Tyshawn Sorey, „Uneasy“. Man kann dieses Album gerne für gut, klasse oder sogar noch besser halten; das interessiert hier erst mal nur am Rande. Es geht ja um Größeres:
„Wenn man Jazz nicht nur als Musik, sondern auch als Labor für Demokratie und Kommunikation betrachtet, ist ´Uneasy´ein exemplarisch gelungenes Album“.
Was aber, wenn man die Voraussetzung „Labor für Demokratie und Kommunikation“ für falsch hält - gilt dann noch das Resultat „exemplarisch gelungenes Album“?
„Uneasy“ ist im Dezember 2019 entstanden, ein Zeitpunkt, dem nicht nur von der SZ in den Rezensionen dieses Albums überbordende Bedeutung zugeschrieben wird. Dezember 2019, wir erinnern uns gerne, das war „kurz vor dem Beginn der Pandemie (…), bevor die Seuchenschutzmaßnahmen die Demokratie auf Pause gestellt und Kommunikation ins Netz verlegt haben. Das ist kein banales Detail“.
Eben. Und man würde nur allzu gerne das Mienenspiel in den Gesichtern der politischen Köpfe aus dem ersten Buch der SZ erleben, mit dem sie diese Zeilen eines Kollegen aus dem zweiten Buch quittieren (…“na ja, Feuilleton!“).
Vielleicht würden sie ganz unschuldig fragen, warum diese absurde „Beobachtung“ zur Beurteilung einer Musikproduktion herangezogen wird.
Zugegeben, der Bandleader (der angeblich keiner ist, weil alle drei „auf Augenhöhe“ agieren), trägt mit den Titelgebungen dazu bei, dass die politische Saat nun schwer an ihren Früchten trägt.
Das Titelstück „Uneasy“ (unwohl) hat er bereits 2011 komponiert, „noch in der Euphorie der Obama-Jahre“, insoweit wird er richtig wiedergegeben. „Aber für Iyer war unter der kollektiven guten Laune schon eine Unsicherheit zu spüren“.
Er war damals 40 Jahre alt. Wäre er wirklich der politische Kopf, als der er hier ausgegeben wird, hätte er nicht schon früher jede Menge Anlässe zu einem solchen Titel gehabt?
Beispielsweise - boah, wie klischeehaft - 9/11? 2001?
Zuschlechterletzt wagt die SZ eine Prognose für die nahe Zukunft. Sie zählt Ensembles auf, die den Goldstandard des Keith Jarrett Trios weiterführen könnten. Darunter ein Trio, das wohl noch niemand gehört hat: „Michael Wollny, Tim Lefebvre und Theo Bleckmann“.
Egal. Wichtig ist die Begründung: „Weil das symbiotische Zusammenspiel dreier Musiker, die sonst vor allem dazu da sind, die Fundamente des Rhythmus und der Harmonie zu legen, nicht nur eine musikalische Höchstleistung, sondern auch eine Utopie ist“.

Uns fiele dazu spontan ein Trio ein, das schon um das Geburtsjahr von Vijay Iyer herum genau dieses Bedingung erfüllt: Brötzmann-van Hove-Bennink.
Was aller-allerspätestens 1970 Standard war - kann das heute noch Utopie sein?

erstellt: 17.05.21
©Michael Rüsenberg, 2021. Alle Rechte vorbehalten