RALPH BOWEN Keep the Change *******

1. Boy for Sale (Lionel Bart), 2. Who will buy, 3. Elevation (Ralph Bowen), 4. For you, 5. Thru Traffic, 6. For D.E., 7. In the good old Summertime (Evans, Shields), 8. Gordon (Ralph Bowen), 9. Keep the Change

Ralph Bowen
- ss, ts; Ryan Kisor - tp, Orrin Evans - p, Reuben Rogers - b, Gregory Hutchinson - dr

rec 28.10.2003

HarmoniaMundi/CrissCross CRISS 243 CD

Dieser kleine Siberling droht im Tonträgermarkt unterzugehen. Kein "grosser" Name in der Besetzung; kein hype, der sich andocken liesse; kein Ausflug zu einer entfernten Welt, die zum ersten Male für den Jazz erschlossen würde.
Jazzjazz gewissermassen. Jazz, der nirgendwo Anleihen aufnimmt, der in sich ruht, aus seiner eigenen Geschichte schöpft.
Wer die Besetzung ein zweites Mal liest, mag die Latte der Erwartungen schon höher legen. Da ist die Rhythmusgruppe von Joshua Redman, da ist
Orrin Evans, einer der besten Köpfe aus dem neuen schwarzen Mainstream (von dem die Gemeine in Deutschland nur wenig Kenntnis nimmt), einer, der ein Solo auch mit der rechten Hand allein gestalten kann, ohne die akkordische linke.
"Keep the Change " ist ein Album, das en suite durchlaufen kann. Es wirkt wie aus einem Guss. Dynamische, stilistische Sprünge sind nicht vorgesehen. Erst bei mehrmahligem Hören rauht sich die Oberfläche auf, werden mehr und mehr Tiefenstrukturen erkennbar, entfaltet sich der ganze Spielwitz dieser Produktion, die interpretatorisch - natürlich! möchte man fast sagen -
glänzend gelungen ist.
Mit den nicht aufgenommenen Anleihen ist das so eine Sache. Gleich die ersten beiden Stücke basieren auf
Musical-Melodien! Aus "Oliver" von Lionel Bart. Ralph Bowen wurde durch seinen Sohn daauf gestossen, der sie im Auto sang. Den Vater erinnerten sie an die modale Periode von John Coltrane in den 60er Jahren, in dessen Stil er sie für dieses Quintett eingerichtet hat.
"Elevation" stammt noch aus dem Fundus von Out Of The Blue, jenem Ensemble, mit welchem Bowen 1985, auf Blue Note, debütiert hat.
Es folgen zwei Wieder-Aufnahmen aus früheren seiner CrissCross-Alben, und mit "Thru Traffic" steigt das Album dann auf ein Hochplateau, das es nicht mehr verlässt.
"Thru Traffic" ist ein Fest für alle
Don Grolnick-Fans, ein remake von dessen "Nothing Personal“: ein schneller Jazzblues mit so scharfen Zutaten wie double time Passagen und einem drum-solo gegen riff. Der Bandleader ist auf dem Tenor supergut dabei, während des Solos von Orrin Evans (mit Anklängen an den frühen Hancock) schnellt der Pegel der Interaktionsskala nach oben. Hier wird bestes Jazzhandwerk ausgestellt. Viele würden geradezu schreien vor Vergnügen, würde ihnen heute auf den Wischi-Waschi-Festivals so etwas seviert.
"For D.E.", ein Requiem für Donald T. Evans, den verstorbenen Vater von Orrin Evans, Dramatiker und Jazzfan. Herrschaften, was für eine Ballade! Sie gibt geradezu ein
Modell dafür ab, welch grossen dynamischen Rahmen diese Gattung erlaubt, ohne selbigen zu verlassen. Orrin Evan spielt erneut mit einer Intuition, die den frühen Hancock assoziieren lasst - Bowen bedient das von ihm seltener eingesetzte Sopran-Saxophon mit einer unglaublichen Souveräntiät, Wayne Shorter`isch im Ton, aber flüssiger, kraftvoller und mit grösserer Intonationssicherheit.
Sein Meisterstück auf dem Sopran gibt er in "Gordon", die Ersteinspielung einer Komposition für seinen Sohn, die bis dato nur in einer Version von
Didier Lockwood aus den 90ern vorliegt. "Gordon" steht in 3/4, aber wie Bowen in den liner notes sagt: "Es ist keine leichte Komposition, harmonisch und rhythmisch verfügt sie über ein paar Tricks" Wohl war! Wie in "D.E" atmet das Stück in verschiedenen Aggregatszuständen, bis hin zur lyrischen Auflösung des Metrums, das Thema ist sau-schwer, die Improvisationen erstklassig. Ein Stück, das abrupt schliesst und den Hörer auffordert: nochmal hören und mitwachsen!
Eine Schande, hätten wir diesen Schatz
überhört.

©Michael Rüsenberg, 2004, Alle Rechte vorbehalten