CHRISTIAN WALLUMRØD ENSEMBLE A Year from Easter *********
1. Arch Song (Wallumrød), 2. Eiliasong, 3. Stompin´ at Gagarin, 4. Wedding postponed, 5. Psalm (trad), 6. Unisono (Wallumrød), 7. Lichtblick (Wallumrød, Økland, Henriksen, Johansen), 8. Horseshoes Waltz (Wallumrød), 9. A year from easter, 10. Japanese Choral, 11. Sketch (Økland), 12. Eliasong II (Wallumrød), 13. Neunacht, 14. Two Years from easter
Christian Wallumrød - p, harmonium, Nils Økland - v, fiddle; Arve Henriksen - tp, Per Oddvar Johansen - dr
rec 09/2004
ECM 1901 982 4132; LC-Nr 02516
Im Prinzip stellt eine jede Musik die sprachlichen Mittel in Frage, mit deren Hilfe man sie beschreiben will. Dieses Album steigert die Schwierigkeiten exponentiell: überaus eindrücklich auf der - ja, gerne auch emotionalen - jedenfalls sinnlichen Ebene, legt es schon von den Titeln her falsche Fährten aus.
Der "unisono" genannte track enthält keineswegs selbiges, der "Horseshoe Waltz" ist nur sehr bedingt als 3/4-Takt zu bezeichnen; ob der "Japanese Choral" den Gesetzen seiner Gattung gehorcht (wenn es die denn überhaupt gibt), entzieht sich unserer Kenntnis - wohl aber ist das Piano-Solo-Stück "Psalm" ein Psalm, soviel darf man sagen.
Einen noch grösseren Eiertanz verspricht die Gattungsfrage dieser Musik. Christian Wallumrød geht als Jazzpianist durch - eine absolute Verlegenheitslösung, aus der uns wenig heraushilft, dass er von Paul Bley sich inspiriert meint oder auch unsere wiederholte Entdeckung einer Verwandtschaft zu Wayne Horvitz, hier in "Stompin´ at Gagari". Ein simples Stück für Piano solo, ein 1-Takt-ostinato mit walking bass in der linken und offbeat-Spiel in der rechten Hand. In afro-amerikanischen Kreisen fiele dies sofort als "zickig" durch.
Aber diese wie auch alle anderen Kreise werden eine tiefe Verbeugung machen, weil diese Musik sich ihre eigenen Gesetze schafft oder besser: eine sehr eigene Welt repräsentiert, deren spröde, ja störrische Sinnlichkeit lange, lange aufhorchen lässt, bevor der analytische Gedanke zu fassen sich aufmacht, was er wahrgenommen hat.
Der Auftakt bündelt die Essenz dieses Albums wie in einem Brennglas: "Arch Song", darin klingt "Bogen" an, aber die Vorsilbe "arch" könnte ebenso auf archäologisch verweisen wie auf "archaisch", was am naheliegendsten erscheint. Auf der analytischen Ebene lässt sich sagen, dass "Arch Song" von einem folkloristisch-pastoralen ostinato geprägt ist (dem bevorzugten Gestaltungsmittel von Christian Wallumrød - aber nur hier! In dem Trio Close Erase agiert er vollkommen anders.)
Tagelang haben wir gezählt, um den Zyklus dieses ostinatos herauszufinden. Auch des Künstlers Hilfe, es handele sich um einen oftmals wiederholten Kreis von 2+2+4, mochte nur kurzfristig befriedigen - bis zum 4. Takt um genau zu sein, denn da hängt er noch einmal 2 Schläge an und ändert später mehrmals die Phrasierung.
Also, lassen wir - damit die Rezension nicht auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben wird - dem Stück sein formales Geheimnis und delektieren uns an dem fragilen Zusammenklang von Violine (später auch Hardanger fiddle und viola d´amore) und Trompete, gespielt vom der eigenständigsten europäischen Trompeter, Arve Henriksen, in seiner fast attaca-losen, an Streicher angelehnten Art.
Der Eindruck des Archaischen, Folkloristischen, aber auch der Kirchenmusik lässt sich nicht von der Hand weisen. Die Entfernung zum Afro-Amerikanischen lässt sich kaum noch vergrössern. Und doch erscheint fraglich, ob Musiker ausserhalb dessen, was heute als "Jazz" verhandelt wird, zu einer solchen Gestaltung fänden.
Zumal "Jazz" seit vielen Jahren immer auch sein Gegenteil ermöglicht: was z.B. Per Oddvar Johansen hier, meist ausserhalb jeder meterischen Ordnung, einbringt, sind Klangfarben, etwa gestrichene Becken-Klänge. Eine Rhythmusfunktion liegt zumeist eher in den piano-ostinati von Wallumrød. Die Tempi sind getragen, feierlich, es liegt nicht nur ein Hauch, sondern ein Ausbund an Melancholie, ja Elegie in dieser Musik. Sie schwelgt in diesem Sound, lässt kaum Abweichungen zu - und das ist gut so. Selten hat eine Musik ein vergleichsweise kleines Areal an Klangfarben so ausgekostet und die Zuhörer zur Wahrnehmung immer subtileren Schattierungen geführt.
In "Lichtblick" (nomen est omen!) ist jede rhythmische Ordnung aufgehoben, es schichten sich gestrichene Klänge - aber so "dreckig", mit Ansatzgeräuschen, wie sie die Neue Musik nicht akzeptieren würde.
Keith Jarrett´s Diktum, im Jazz käme es nicht auf das was, sondern auf das wie an, mag bei der Gattungsfrage weiterhelfen. Vielleicht, um das völlig Unschulmässige dieses Ansatzes zu beschreiben, oder auch den Mut, durch "falsche" Darstellung letztlich zu einem völlig eigensinnigen, also "richtigen" Ergebnis zu kommen.
Auch der "entfernte Gruss" an John Cage, als den Wallumrød dieses Album auffasst, mag zur Erklärung beitragen. Nicht als platter "Tribut an John Cage", als den ein Kritiker diese Aufnahme missversteht, bloss weil sie den Titel "A Year from Easter" von Cage´s Buch "A Year from Monday" abwandelt. Dort aber heisst es, wir sollten nicht auf die Ankunft des einen Künstlers warten, der "alle unsere ästhetischen Bedürfnisse befriedigt."
Bis auf weiteres also hält uns Christian Wallumrød auf seiner kargen Parzelle gefangen, ohne dass wir auch nur im Traume nach Groove & swing verlangten.
erstellt: 08.05.05
©Michael Rüsenberg, 2005 Nachdruck verboten