NGUYEN LE QUARTET Walking on the Tiger´s Tail *****

NGUYEN LE QUARTET Walking on the Tiger´s Tail *****

11. Wingless Flight (Le, Borker), 2. Yielding Water, 3. Totsu!, 4. Snow on a Flower, 5. Jorai, 6. Butterfly Dream, 7. Walking on the Tiger´s Tail, 8. Bee, 9. Evening Glory, 10. Zamora, 11. Eventail

Nguyen Lé
- g, electronics; Art Lande - p, Jamie Haddad- dr, perc, Paul McCandless - ss, ts, oboe, ehorn, bcl

rec 10+11/2004

ACT 9432-2; LC-Nr 07644

Mit seinem jüngsten Album kehrt
Nguyen Le an den Beginn seiner Tonträger-Karriere zurück, zu Alben wie "Miracles" (1989, mit Art Lande), insbesondere aber "Zanzibar" (mit Lande und Paul McCandless). Die Kompositionstitel reflektieren Le´s Beschäftigung mit alten chinesischen Büchern; der "Tiger", dem er sich gegenübersah, war eine schwere Erkrankung, die er - nach eigenen Worten - auch mit Hilfe dieser Musik überwunden habe.
Sie hat nichts Chinesisches, auch nichts Vietnamesisches (wie man bei dem in Paris geborenen Sohn vietnamesischer Eltern) vermuten könnte - sie ist vielmehr eine Hommage an
Oregon. Mithin ein Fusions-Ensemble, das "World Jazz" schon zu einem Zeitpunkt praktiziert hat, als es den Begriff dafür noch gar nicht gab. Seltsamerweise beschreibt Le als interface zu Oregon nicht das Oregon-Mitglied Paul McCandless, sondern den allenfalls Oregon-Verwandten Art Lande.
Eine
Hommage an Oregon seitens Nguyen Le also, freilich dezidiert ohne Bassisten; die drei (Le, Lande, McCandless) verstünden sich so gut, dass sie die Bass-Rolle reihum auszufüllen gedenkten.
Nun steigt niemand zweimal in den gleichen Fluss, und
Le hat in den Jahren seither wohl am meisten an Statur & Status gewonnen, an ein remake von "Zanzibar" ist also nicht zu denken.
Gleichwohl bleibt ein disparater Eindruck:
kompositorisch haben Le und sein Co-Autor Dominique Borker ein zweites Oregon-Gewand geschneidert, das insbesondere durch Art Lande und Paul McCandless geradezu "amtlich" aufgetragen wird. Schön, dass Le solche Vorlagen geben kann, aber der Sinn solch zehrender Kammerjazz-Übungen erschliesst sich nicht, wo das wirkliche Original eine ganze Bibliothek davon veröffentlicht hat.
Zum Glück aber fährt Nguyen Le, der
Gitarrist, dem Komponisten Ngyuen Le des öfteren in die Parade. Dass der Projektleader die verstrichene Lebenszeit nutzbringender verwandt hat als seine Mitspieler, merkt man seiner Vorliebe für sehr überraschende Lösungen an. So hält sich z.B. "Yielding Water" 2:10 lang als näselnder Kammerjazz unter Führung der Oboe, wenn Le sein Solo mit blue notes - endlich - aus diesem Kontext herausführt. Nguyen Le ist wirklich ein grosser Stilist, der überzeugend auch ein out-Solo zu plazieren weiss. Es gibt schöne rhythmische Lösungen, beispielsweise wie er im Eröffnungsstück einen zweiten Rhythmus double time unter dem dominierenden etabliert und letzten dann wegzieht.
Auch
Jamie Haddad ist kein Kostverächter, mitunter grooven er und Le - und insbesondere Art Lande kann dann nicht mehr mithalten ("Jorai").
Es manngelt ihm an rhythmischer Kraft (und McCandless auf dem Tenor an Biss). Zudem fehlt hier der Bass - den Nguyen Le im Titelstück zauberhaft swingend realsiert.
Als quasi Parallelalbum zu "Zanzibar" hätte man dieses Album vor einem Dutzend Jahren vielleicht begrüsst, es wirkt heute widersprüchlich und dem Status dieses grossen Gitarristen kaum angemessen.

erstellt: 02.03.05

©Michael Rüsenberg, 2005, Nachdruck verboten