TERENCE BLANCHARD Flow ******

1. Flow, Part I (Blanchard, Hodge), 2. Wadagbe, Intro (Loueke), 3. Wadagbe, 4. Benny´s Tune, 5. Wandering Wonder (Blanchard), 6. Flow, Part II (Blanchard, Hodge), 7. The Source (Kendrick Scott), 8. Over there (Hodge), 9. Child´s Play (Brice Winston), 10. Flow, Part II (Blanchard, Hodge), 11. Harvesting Dance (Aaron Parks)

Terence Blanchard
- tp, progr; Brice Winston - ss, ts; Lionel Loueke - g, voc; Aaron Parks, Herbie Hancock - p, Derrick Hodge - b, bg; Kendrick Scott - dr, Gretchen Parlato - voc, Howard Drossin - progr

rec 11.-14.12.2004
EMI/Blue Note 7243 5 78274 2 3; LC-Nr 0133

Wenn ein Bandleader sich entschliesst, für sein neues Album nur ein Stück zu schreiben, ansonsten aber Kompositionen seiner Sidemen - oder in Kooperation mit ihnen - unterzubringen, frohlockt
down beat schon: "he democratized his band."
Ja, froh zu sein, bedarf es wenig, und wer
Herbie Hancock als Produzenten hat, der kommt in den Genuss einer Story "Terence Blanchard meets Herbie Hancock" (down beat, 06/05).
Schon mit seinem letzten Album "Bounce" (2003) war der erfolgreiche Filmmusik-Komponist und ex-Jazz-Messenger Blanchard zu einer Art Jazzrock unterwegs. Jetzt ist er vollends dort angelangt, unter Zusprühen von Elektronik-Parfüm, das offenbar "21. Jahrhundert" signalisieren soll.
Das alles ist nett gemacht und auch gut produziert, aber bevor auf "Flow" wirklich was passiert, das z.B. diesen Trompeter in seiner Form zeigt, vergeht bald eine halbe Stunde: erst bei track 5, "Wandering Wonder", horcht man richtig auf. Da ist der Strahlemann-Ton des Bandleaders und in Aaron Parks als unglaublich treibender Begleiter und schliesslich auch Solist.
Kurioserweise datiert "Wandering Wonder" von 1986, als Blanchard gerade bei
Art Blakey´s Jazz Messengers ausgestiegen war. Es blieb liegen, weil er zunächst nichts damit anfangen konnte. Jetzt bildet es den Kern dessen, was die Qualität dieses Teams ausmacht: ein sehr flexibler Umgang mit der Rhythmik, eine sehr spezielle Poly-Metrik, wo stellenweise jeder Mitspieler über seine eigene "time" zu verfügen scheint. Hat man "Wandering Wonder" erst mal verdaut, erschliesst sich - gewissermassen rückwärts - auch die erstaunliche rhythmische Komplexität von "Wadagbe", insbesondere unter dem energischen Sopran-Solo von Brice Winston.
ãWadagbe“ stammt von dem in Benin gebürtigen
Lionel Loueke, bekannt geworden in der Band von Herbie Hancock, aber entdeckt von Terence Blanchard. Loueke´s Mitwirkung bei dieser Produktion ist Segen und Fluch zugleich. Wie von anderen seiner afrikanischen Kollegen, z.B. Richard Bona, wird von ihm nichts Authentisches erwartet, sondern Ethno-Flair. Den versprüht er hier, bis er nervt, bis man fast zu überhören geneigt ist, dass Loueke einen sehr eigenen Gitarren-Stil pflegt, quer zur Jazz-Tradition, sicher auch nicht auch nicht pur "ethnisch", den er mit sicherem timing einsetzt. Das schafft, zumal er sich dabei auch noch klangtechnischer Tricks bedient (rückwärts laufende Sounds), als eigener Ausdruck vollkommen ausreichen und bedürft keines weiteren Ethno-Parfüms.
Konzeptionell hat Blanchard nämlich einiges zu bieten. Er strebt Verbindungen an zum
Herbie Hancock Sextett wie zum zweiten Miles Davis Quintett, aber auch zu "Sketches of Spain" (in "Harvesting Dance" mit der geradezu abartigen Taktfolge 5/4/3/3/5) - aber er verfängt sich in Klangpolitur. Er hat eine tolle Band, seine Leute sind gut genug, um aus den musikalischen Strukturen heraus eine "Aktualisierung" zu schaffen - der Girlanden bedürfen sie nicht. Das wirkt eher anachronistisch; wer die Gegenwart akustisch einfangen will, holt sie sich von der Strasse.


erstellt: 01.06.05

©Michael Rüsenberg, 2005,
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