ULRICH LASK Lametta Lagra Lama (CD) ********, Arjeplog Promenaden (DVD) *****

CD
1. Mahander (Lask), 2. Dyser Zey, 3. Rabella Ni, 4. Mete Adens, 5. Renbo, 6. Ewem, 7. Arjevogl 1, 8. Ey Wyl, 9. Wyl Dsgrin Wipr, 10. Andine, 11. Lagra 1 (Lask, Gramss), 12. Lagra 2, 13. Lagra 3, 14. Lagra 4, 15. Lama B (Lask, Maurer)

Ulrich Lask - as, alt-horn, corn, cl, digitals; Albrecht Maurer - v (1,2,3,7,15), Anders Rünnholm - g (1,4,5,6,9,10), Jürgen Sturm - g (7,8), Tyrone Stenlund - b (6), Dina Azzam - voc (10), Anette Maye - bcl (10), Sebastian Gramss - b (11-14)

mp3 Arjeplog Promenaden
01. Arjeplog Intermezzo 1B (Lask, Maurer), 02. Vauka 3B (Lask), 03. Arjeplog Intermezzo 2B (Lask, Maurer), 04. Jazweio B (Lask, Philips), 05. Arjeplog Intermezzo 3B (Lask, Maurer), 06. Arjeplog Intermezzo 4B, 07. Kaltis on Galtis B (Lovens), 08. Weitblick B (Lask), 09. Nordwestost B (Philips), 10. Nordblau 2B (Lask)

DVD
Arjeplog Promenaden (DVD, auch im HD-Format H.264)

Albrecht Maurer - v, Barre Philips - b, Paul Lovens - perc

rec 2007
Nabel Records 4711; LC 07849

Wer die Jazzlexika konsultiert, der findet in seiner alphabetischen Umgebung zwar vieles über "Laswell, Bill", aber nichts über "Lask, Ulrich". An die Autoren ist in dieser Sache nur bedingt der Vorwurf der Unterlassung zu richten, denn das Werk von Lask erscheint in so großen Zeitintervallen, dass Kontinuität vielleicht nur derjenige wahrnimmt, der auch den Anfang des Fadens kennt.
Das war, in den 70ern Jahren, im
Theo Jörgensmann Quartett, eine künstlerisch produktive, aber Ensemble-intern konfliktreiche Zeit, die Lask heute in seiner Bio gar nicht mehr namentlich benennt, sondern anonym hinter der Bezeichnung "1976-80 4 Schallplattenproduktionen" versteckt. 1979-81 führt er das Urban Music Ensemble, ein 15köpfiges Orchester, u.a. zum Moers Festival.
1981 gelingt ihm mit "Lask" (auf ECM) ein genialer Wurf: eine für den Jazz bahnbrechende Symbiose aus der Stechuhr-Ästhetik der damals aufschäumenden (Sequencer-)Elektronik mit der durch kein Zeitkorsett zu bändigenden Vokal-Artistik einer
Maggie Nichols. 1984 folgt ein Nachhall, nun schon dem Song-Format angenähert ("Sucht und Ordnung").
Danach verlegt Lask seinen Wohnsitz von Aachen nach Paris - und damit außerhalb der gewohnten Öffentlichkeit. In 20 Jahren entstehen dort überwiegend Zweck-gebundene Musiken, für Filme, für das Centre Pompidou und nur ein paar reine Audio-Projekte. Keines davon vermag an die alte Klasse anzuknüpfen, darunter "Melodia Povera", eine Sammlung von Altsaxophon-Solo-Stücken (die in diesen Tagen eine Forsetzung, als "Melodia Povera II" erfährt.)
1998 weitet Lask seinen Lebensbereich zu einem extremen Dreieck, neben Aachen und Paris wählt er einen weiteren Wohnsitz in Arjeplog/
Lappland/Schweden, unweit des Polarkreises. Erste Aufnahmen, 2003/04 entstanden in der Kirche des Dorfes, künden von dort ("Polar Circles", 2005).
"Lametta Lagra Lama" setzt dieses Solo-Projekt fort, mit Hilfe deutscher und schwedischer Musiker in "Lametta", den Duos Altsax-Bass in "Lagra“ sowie Altsax-Violine in "Lama" und schließlich den sparsamen Untermalungen einer gewissermaßen "saxophonistischen Erkundung" Lapplands in der
DVD "Arjeplog Promenaden".
Ehrlich gesagt, Titelei und auch Design dieser Doppel-Produktion rufen zunächst Distanz, vielleicht auch Ablehnung hervor. "Lametta Lagra Lama" - wer denkt bei dieser Aliteration nicht an Joachim-Ernst Berendts "Nada Brahma" (von Titanic einst brillant verwandelt zu "Nada Brahma - Karmann Ghia".) Das Cover zeigt Lask, das Altsaxophon in Händen und an den Lippen, im Mantel an einen Felsen gelehnt, bedeckt mit einem Hut, auf den ein Regenschirm montiert ist. Das hat etwas von einer Camping-Ästhetik und dem Wettertrotzen des einsamen Anglers - übrigens ein Motiv, das bildernisch in der DVD zweimal auftaucht und auch im übertragenen Sinne die Videos prägt.
Im Innencover blickt der Künstler starr und abweisend am Betrachter vorbei.
Das alles wirkt nicht gerade einladend, und doch entginge einem vieles, wer sich davon abweisen ließe - es handelt sich lediglich um leicht mißglückte Inszenierungen jener Kühle, Konzentration und Klarheit, die Lask - völlig zu recht - für seine Musik in Anspruch nimmt.
Erstaunlich, ja einzigartig die Kontinuität, mit der sich zentrale Parameter seiner Ästhetik über drei Jahrzehnte nicht nur erhalten, sondern in immer wieder neuen Varianten fortentwickeln.
Da ist zunächst der "kühle", jeglicher
hot intonation ferne Ton auf dem Altsaxophon, wie er direkt auf Paul Desmond zurückzugehen scheint. (Lask hat seit jeher ein Faible für den Westcoast Jazz, nicht zufällig fällt ihm, der die fünfzig überschritten hat, in der jüngeren Generation Hayden Chisholm auf, der Desmond sozusagen in die Mikrotonalität geführt hat.)
Gleichwohl ist die erste seiner Instrumental-Stimmen, die man auf "Lametta" hört, nicht das Alt, sondern das
Alt-Horn (ähnlich Django Bates´ Tenorhorn), das er neben einem Cornett neuerdings spielt; die Klarinette hatte er schon auf "Polar Circles" eingeführt. Alle seine, numehr vier Blasinstrumente kommunizieren im Auftaktstück miteinander.
Der
zweite, zentrale Aspekt seiner Ästhetik ist die Elektronik.
Lask war freilich nie ein Klangfarbenbastler, schräge Klänge sucht man bei ihm vergeblich, ihn interessieren eher Punkte und Linien; zum ersten Mal überhaupt tauchen hier digitale Streicher auf ("Rabella Ni"). Lasks Elektronik ist die des Sequencers, der programmierten Abfolge von melodischen Punkten - vor 30 Jahren eher im Sinne einer Baß-Funktion, heute viel offener und zugleich versteckter in vielfältig struktureller Form. Ein Musterbeispiel dafür ist "Dyser Zey": ein Drei-Ton-Motiv ohne erkennbaren "Beat"schlängelt sich durch das gesamte Stück; häufig schweigt es, manchmal fehlt der dritte Ton - je nach Ausgestaltung der Oberstimmen, die hier von irjenswie folkloristischer Anmutung sind.
"
Digitals", wie sie bei Lask verallgemeinernd heißen, können aber auch E-Piano-Figuren sein, Xylophon-verwandt oder in grummelnden Clustern erklingen, die durch Filterungen wie unter Wasser klingen. Digital sind aber auch Transformationen des Altsaxophon-Tons anch unten oder oben.
Dies freilich alles kühl und dezent, ohne große Gesten oder Effekte. Formen - selbst da, wo sie durch sich wiederholende Muster erkennbar sind - werden aufgebrochen. Manche Spuren sind lange auf stumm geschaltet; es fällt schwer, sich die Beteiligten von ãLametta“ als Ensemble in einem Studio vorzustellen, die Strukturen sind undenkbar ohne die Ordnung, wie sie sich auf dem
edit window einer Software wie ProTools herstellen läßt.
Dies spricht keineswegs gegen die Musik, im Gegenteil: selten hat digitales Arbeiten so klischeefreie Ergebnisse gezeitigt. Es führt in eine wundersame Welt aus - im besten Sinne - kauzigen Texturen, ein einzigartiges Gewebe aus Folklorismen, Pop-, Kirchen- und Kammermusik-Anklängen, die durch - wen denn sonst? - eine
Jazz-Hand zusammengefügt werden.
Zum Ende hin, wenn die Einfälle denn doch Konventionen sich annähern,
swingt´s sogar regelrecht ("Andine").
"Lagra", vier trockene Duos mit
Sebastian Gramms, aber auch das abschließende Duo mit Albrecht Maurer, fallen im Vergleich, wenn man durch soviel "Lametta" sich hat durchhören dürfen, nicht mehr so aus dem Rahmen.
Ob dies freilich auch für die beiliegende DVD "Arjeplog Promenaden" gilt, dürfte noch weitaus mehr vom Standpunkt des Betrachters abhängen. Und der
Betrachter ist hier wortwörtlich gemeint. In 16 Szenen "führt" der Saxophonist Lask "spielend" durch die Landschaft schwedisch Lapplands, unweit des Polarkreises.
(10 dieser tracks sind als mp3-audio files auf der CD enthalten.)
Man sieht ihn an den Felsen gelehnt (wie auf dem Cover dieser Produktion), auf dem Heck eines gestrandeten Bootes, zweimal auch auf Stühlen. Er vertraut der imposanten Landschaft keine "fertigen" Werke an, er versucht, mit musikalische Gedanken, vorläufig und abwägend, leise und nicht ohne Demut, sich als Gast einzufügen. Mitunter schwenkt die Kamera langsam ins Gelände, Lask klingt nur noch aus dem
off. Der Begleittext spricht hier zurecht von einem "Erspielen der Landschaft", denn sie ist ja nicht nur visuell, sonden auch akustisch präsent. Die Wechselbeziehung ist sicher reizvoll, auch wenn Lask hier nicht auf der Höhe seiner Kunst sich zeigt.
Falsch aber ist die gleichzeitige Behauptung, es sei dies "kein Film...´
über etwas´". Abgesehen davon, dass jeder Film "über etwas" ist, handelt es sich hier um klug inszenierte (und geschnittene) Bilder eines Saxophonisten in einer Landschaft, die durch einen "fremden" Blick (den eines Mitteleuropäers) geleitet sind.
Das aber ist gar nicht das Problem. Fragwürdig ist viel mehr, dass Ulrich Lask sowohl als Künstler als auch Privatmann in Erscheinung tritt. Der
Bruch zwischen beiden Rollen zeigt sich in zwei Szenen: wenn er das Saxophon absetzt und - weil ihm nichts mehr einfällt? weil er von der Landschaft überwältigt ist? - ermattet und zufrieden im Stuhl versinkt.
Wollen wir das wirklich sehen? Von einem Menschen, den wir für seine künstlerischen Hervorbringungen loben?

erstellt: 18.03.08
©Michael Rüsenberg, 2008, Alle Rechte vorbehalten