NILS WOGRAM´s LUSH Pretty Good News *******
01.Pretty good News (M: Wogram, T: Simone Vollenweider), 02. Into the Warmth, 03. Hung-re-you, 04. I will be fine, 05. Unveiled Depths, 06. Thinking of you
Nils Wogram - tb, melodica; Simone Vollenweider - voc, Colin Vallon - p, ep; Wolfgang Zwiauer - bg, Kaspar Rast - dr, Tilman Ehrhorn - electronics
rec. ?.2008
Unit Records UTR 4216; LC-Nr 00817
Das nennt man eine Überraschung, für manche vielleicht auch "pretty good news" - nach dem mikrotonalen Bebop von Root 70 schlägt sich Nils Wogram deutlich in Richtung Pop, ja sogar Jazzrock!
Und dies quasi ohne "Vorwarnung"; auch Journalisten erfahren nicht mehr als jene wenig belastbaren Zeilen aus einer für ihre Unpräzision bekannten Berliner Textmanufaktur, wie sie gleichfalls auf Wogram´s Webseite stehen.
Sieht man von seiner Beteiligung an diversen Projekten von Lukas Niggli ab, so hat der gebürtige Braunschweiger Wogram mit "Lush" nach Jahren in Zürich Boden gefasst, es ist sein erstes komplett Schweizer Team. Auch hier muß man sich Biografisches selbst zusammensuchen. Hat Simone Vollenweider irgendwas mit dem Harfenisten Andreas gleichen Namens zu tun? Nein. Man muß lange googeln, zunächst fällt sie einem als Absolventin der Jazzabteilung an der Hochschule Luzern auf.
Der Pianist Colin Vallon ist jüngst mit einem eigenen Trio aufgefallen, Tilman Ehrhorn könnte man als Tenorsaxophonisten aus Wogram´s "swing moral" (2004) und als Elektroniker aus Julia Hülsmann´s "Good Morning Midnight" (2005) kennen.
Und die Rhythmusgruppe? Nur wenige Takte braucht man, um sie in die große Tradition der Schweizer Groove-Sektionen zu stellen, in eine Linie, die über Christy Doran´s New Bag bis in die 80er Jahre zurückreicht, zu Andreas Brugger (dr) und Thomas Jordi (bg) bei Donkey Kongs Multi Scream zurückreicht.
Wolfgang Zwiauer, nicht überraschend, hat Wogram sich bei Christy Doran ausgeliehen, Kaspar Rast sitzt aktuell auch bei Nik Bärtsch Ronin.
Nun denn, die Wurzeln dieser Musik mögen "gleichermaßen im Pop und Jazz liegen" - ihre tatsächliche Formsprache aber ist die des Jazzrock oder auch Funk-Jazz: die Strecke mit dem Posaunen-Solo in "Hung-re-You" macht einem George Duke mit Ndugu Leon Chancler sowie einem Raoul DeSouza alle Ehre.
Jawohl, "Lush" ist retro - ebenso retro, wenn auch stilistisch ganz anders, wie Nils Wograms´ "Nostalgia"-Trio. Bloß, ein George Duke hätte sich (wären sie ihm denn eingefallen) solche Intros wie hier in "Into the warmth", "I will be fine" oder "Thinking of you" niemals gestattet. Das ist beste europäische Liedkunst, mit komplexen Verläufen, die sich vermutlich auch auf der Bühne nur mit Hilfe der Partitur reproduzieren lassen.
Im letzten Titel verliert das Unternehmen deutlich an Dampf (nachdem es im track zuvor über Minuten ein Monster-Riff - 4/4, 9/8, 7/4 - mit mächtiger Geräuschfahne hochgehalten hat), das lange, lange Verweilen in mittlerem Tempo will nicht recht gelingen, ebensowenig die leichten Groove-Wechsel, die bis dato für Abwechslung sorgten.
"Lush", im Sinne der lexikalischen Wortbedeutungen "abgefahren" oder "großartig" ist hier noch ein wenig headroom, vulgo: Luft drin.
erstellt 11.04.09
©Michael Rüsenberg, 2009, Alle Rechte vorbehalten