GWILYM SIMCOCK Blues Vignette *******

CD 1
01. Little People (Simcock), 02. Exploration on Mvt II of Grieg Piano Concerto, 03. On Broadway (Mann, Weil), 04.
Improvisation I - Statues (Simcock), 05. Improvisation II - Letter to the Editor, 06. Improvisation III - Be still now, 07. Caldera, 08. Jaco and Joe, 09. Suite for Cello and Piano Kinship, 10. -Homeward
CD 2
01. Introduction (Simcock), 02. Tundra, 03. Blues Vignette, 04. Black Coffee (Sonny Burke), 05. Longing to be (Simcock), 06. Nice Work if you can get it (Gershwin), 07. Cry me a River (Arthur Hamilton), 08. 1981 (Simcock)

Gwilym Simcock - p, Yuri Goloubev - b, James Maddren - dr, Cara Berridge - cello (I, 09+10)
rec. ?/2009
Rough Trade/Basho Records SRCD 32-2; LC-Nr 19940

Wie Django Bates, das letzte britische Jazz-Großtalent vor ihm, fällt auch Gwilym Simcock stilistisch in mindestens zwei Gattungen: für die „Proms 2008“ hat er ein Orchesterwerk geschrieben, in diesem Jahr wurde ein Stück für Chor und Jazzquartett uraufgeführt, ganz zu schweigen von seiner Arbeit mit dem klassisch durchwehten Kammertrio Acoustic Triangle (bei einem Projekt dort traf er die hier präsentierte Cellistin Cara Berridge.
Im Gegensatz zu Bates, der die beiden Welten discografisch immer auseinandergehalten (und manches auch gar nicht auf Tonträger herausgebracht hat), scheint Simcock hier daran gelegen, seine zweite Seite mindestens doch ansatzweise zu beleuchten. Das findet nicht nur in der „Suite for Cello and Piano“ seinen deutlichsten Ausdruck, im Grunde aber sind weite Teile der CD 1 jenem präludierenden Vortrag vorbehalten, mit dem Jazz-Pianisten in einem „semi-klassischen“ Gestus gern in der Landschaft sich verlieren, ohne sie wirklich zu beschreiben.
Simcock fällt dies schon dank seiner enormen Anschlagskultur leicht, und so vergeht denn eine Viertelstunde, bis denn mit dem alten Soul-Klassiker „On Broadway“ die erste scharf gemeißelte Form erkennbar wird - endlich groovt es!
Im Gegensatz zu seinen Alterskollegen hält sich Gwilym Simcock nicht von Standards fern, im Gegenteil: sie gehören hier wie auch auf seinem Erstling „Perception“ zu den Höhepunkten.
Wen er mit „Jaco and Joe“ meint, ist klar, aber wie er es meint, bleibt weitgehend unklar, es bleibt eine indirekte Hommage. Mit der spätromantisch-filmischen „Suite for Cello and Piano“ begibt er sich in die äußerste Umlaufbahn zum Titel des Ganzen, zu „Blues Vignette“.
Ein rätselhafter Titel für dieses Projekt, ein rätselhafter Titel für einen Musiker, der den Blues von allem Schmutz befreit, der ihn elegant spielt wie ein Snob.
„Blues Vignette“, wenn man den Titel mit „Zierleiste“ übersetzt, ist man gut gerüstet für CD 2, für den Jazz-Simcock. Dieser Teil ist komplett mit seinem neuen Trio eingespielt, mit (fast) Gleichaltrigen und nicht mehr wie „Perception“ mit Kollegen aus der Generation seiner Lehrer. Yuri Goloubev stammt aus Russland und lebt seit 2004 in Mailand, James Maddren ist gerade mal 22 und wurde von Simcock dort rekrutiert, wo letzterer mit seinen 28 inzwischen als Dozent aufkreuzt, an der Jazzabteilung der Royal Academy of Music in London.
Goloubev weiß auf dem Kontrabaß auch exzellent den Bogen zu führen, und so ist man einen Moment irritiert in der romantischen Ballade „Introduction“, die im Duktus an die voraufgegangene „Suite for Cello and Piano“ anschließt, ob vielleicht doch auch hier die Cellistin mitwirkt.
„Tundra“ schwimmt im Fahrwasser des Keith Jarrett Trios, in seiner Art des gebrochenen swing, ohne die berühmten Piano-Brocken an Bord zu nehmen. Und dann das Titelstück, ein Höhepunkt der Produktion: die Einleitung dunkel-chromatisch mit arco-bass, aufgelöst von einer gospel-haften Piano-Figur in den tiefen Register. Das Ganze wiederholt sich, und dann steigt das Trio urplötzlich in einen langsamen Blues, wechselt den Groove in ein mittleres Tempo, und der Bandleader spielt sein Solo mit einer Eleganz, Klarheit und rhythmischen Fantasie sondergleichen. Nichts davon stammt aus dem Blues-Club, alles von einem philharmonischen Podium, und doch dreht und wendet Simcock das Material mit einer so auftrumpfenden Gestik, das für wenige Momente den großen Jazz-Pianisten durchscheinen läßt, der er wirklich ist.
Folgt „Black Coffee“ von Sonny Burke aus dem Jahre 1948, von Sarah Yaughan im Jahr darauf zum Erfolg geführt. Nach 8 Takten Baß-Intro macht Simcock mit einem einzigen Ton klar, dass bis jetzt alles nur Vorspiel war - das Piano brodelt in einem Gospel-Sud, es groovt wie Harry, Simcock verzögert, lässt aus, setzt Akzente, spielt mit einem unglaublichen timing.
Abkühlung mit „Longing to be“, einer Ballade in leichtem Latin-Gestus. Und entfaltet Gwilym Simcock seine Qualität als Standard-Interpret, die schon bei seinem Erstling hat aufhorchen lassen. „Nice Work if you can get it“ von George Gerswhin ergänzt er thematisch mit einem Fragment aus John Coltranes „Giant Steps“ - ein stupender Kunstgriff, ganz abgesehen davon, dass die Rhythmusgruppe durch permanentes groove switching glänzt. Hier verfestigt sich der Eindruck, in James Maddren ein Großtalent vor sich zu haben.
„Cry me a river“ wird inszeniert als komplementäre Gegenfigur, in quasi gedehnter Zeit, mit Fragmenten aus dem allbekannten Song, bis er dann schließlich in seiner vollen Gestalt erscheint. Und spätestens hier muß der schöne, volle Ton von Yuri Goloubev erwähnt werden.
Das Album schließt mit "1981", betitelt nach Simcocks Geburtsjahr, melodisch-rhythmisch, vor allem in den eingeschobenen ostinati, beeinflußt von Chick Corea. Eine Danksagung für dessen Kompliment "Gwilym´s an original. A creative genius"?

erstellt: 19.11.09

©Michael Rüsenberg, 2009, Alle Rechte vorbehalten