NGUYEN LÊ Songs of Freedom *********

01. Eleanor Rigby (Lennon, McCartney), 02. I wish (Stevie Wonder), 03. Ben Zeppelin (Nguyen Le, Youssef), 04. Black Dog (Baldwin, Page, Plant), 05. Pastime Paradise (Stevie Wonder), 06. Uncle Ho´s Benz (Le), 07. Mercedes Benz (Joplin), 08. Over the Rainforest (Le), 09. Move over (Joplin), 10. Whole Lotta Love (Baldwin, Bonham, Page, Plant), 11. Redemption Song (Marley), 12. Sunshine of your Love (Bruce, Brown, Clapton), 13. In a Gadda da Vida (Doug Ingle), 14. Topkapi (Le), 15. Come together (Lennon, McCartney) 


Nguyen Lê - g, computer, Illya Amar - vib, mar, electronics, Stéphane Galland - dr, Linley Marthe - bg, voc
Youn Sun Nah, Dhafer Youssef, David Linx, Ousman Danedjo, Julia Sarr, Himiko Paganotti - voc, David Binney - as, Prabhu Edouard - tabla, voc, Stephane Edouard - perc, Karim Ziad - dr, karkabus, Duo Gan - erhu, Hamid El Kasri - gembri             

rec. 07 - 10/2010
ACT 9506-2; LC-Nr 07644

„Darf der das?“
Stücke, die wir alle kennen, Ton für Ton, Wort für Wort, vamp für vamp, einfach so aufladen mit fremden Partikeln? Die meist unschuldigen, kleinen Vorlagen aufblasen zu Ganz Großem Kino?
Mit anderen Worten, darf Nguyen Lê nach Gutdünken Plan B spielen?
Zunächst einmal hält er die urheberrechtlichen Grundsätze ein: er gibt die Original-Komponisten an, er setzt sich nicht als Bearbeiter ein (obwohl gerade darin der Witz dieser Produktion besteht), die GEMA wird nix zu meckern haben.
Als Legitimation nennt Nguyen Lê das übliche Motiv: den verwendeten Songschreibern „Tribut“ zu zollen. Hier erweitert um die persönliche Note, dass er mit diesen Songs aus der Wende der 60er zu den 70er Jahren aufgewachsen sei, dass er sich als „Kind“ der Originalschöpfer betrachte - nun, als Erwachsener, sich aber erlaube, auf gleicher Höhe aufzutreten.
Die übliche Begründung zum Aufgreifen von „Standards“ also. Der auch sprachlich begabte Ben Sidran hat sie neulich bei seinen Dylan-Bearbeitungen wunderbar auf den Punkt gebracht: „Tonight we´re playing Ben Sidran, Bob Dylan is just the vehicle we´re gonna drive.“
Nämliches gilt für die Arbeit von Nguyen Lê, den 1959 in Paris geborenen Sohn vietnamesischer Einwanderer. Er hat sich des öfteren fremder Fahrgestelle bedient und den Aufbau seiner Architektur unterworfen. „Songs of Freedom“ sieht er in direkter Nachfolge zu „Purple“, seinem Hendrix-Projekt von 2002. Der CD-Titel ist dem „Redemption Song“ von Bob Marley entlehnt, den er jetzt erst herausbringt, der freilich damals seinem Team als Aufwärmstück diente.
cover-le-songsAls er von Django Bates´ Motto hört („Arranging the Hell out of something“) lächelt er asisatisch-vieldeutig - genau das dürfte auch sein Motiv sein. In „Eleanor Rigby“ zeigt er sein Handwerkszeug vorsichtig vor: exotische Tonbeugungen von der Gitarre, Tablas, viel indisches Flair - die Rhythmusgruppe (Linley Marthe, Stéphane Galland) groovt wie jeck über einem HipHop-Muster. Die Sängerin, Youn Sun Nah aus Korea - ein Traum, eine glänzende Besetzung wie alle anderen in dieser Rolle.
Steve Wonders „I wish“ erhält einen gleichfalls indischen Schluss, mit Gruppengesang, der aus der indischen Trommelsprache Konakol stammt.
Und dann holt Nguyen Lê zum ersten Male richtig aus: das Original von Led Zeppelins „Black Dog“ von 1971 wirkt geradezu ärmlich gegen diese Achterbahn, durch die er das alte Gestell jagt.
Im Gegensatz zu den anderen creativen Kadern (Steve Tibbetts 1987, Frank Zappa 1988, Foley 1992, mehrfach Vital Information), die sich von den britischen Hardrockern haben anstecken lassen, nimmt Lê deren vamps als Einladungen, ihnen weitere eigene zur Seite zu stellen.
Dabei lässt er in „Black Dog“ noch den zweiten großen Kontinent anklingen, mit dessen Hilfe er die sixties globalisiert: die Musik des Maghreb. Wir hören Gumbri, den Sahara-“Baß“, Karkabus, die marokkanischen „Kastagnetten“, immer wieder die hypnotischen Muster des Gnawa-Gesangs.
Viel Attraktion geht auf das Konto jazz-typischer Re-Harmonisation, die die Vorlagen mit ungewöhnlicher Farbigkeit ausstattet.
Auch ein anderes großes Gestaltungsmittel ist geradezu hausgemacht, bestens vertraut im Jazz, aber selten zuvor mit einem solchen dramaturgischen Geschick eingesetzt: Marimbaphon und Vibraphon, die beiden uralten Bekannten.
Mit Illya Amar (der schon 1999 bei ihm mitwirkt) steht nicht nur ein exzellenter Schlegelmann im Studio, Nguyen Lê räumt ihm neben seiner Gitarre den weitesten Aktionsradius ein. Es gehört zu den größten Vergnügen dieser Produktion zu hören, wie das Marimbaphon das Pudding-riff von „In A Gadda da Vida“ modelliert oder „Mercedes Benz“ stellenweise in ein Kammerstück, bevor Nguyen Lê mit seiner Gitarre ein halbes Jahrhundert Jazz- und Rockmusik zur Sprache bringt.
Kurzum, „Songs of Freedom“ enthält ein Feuerwerk an Arrangier-Ideen, im Grunde ein Re-Komponieren der Vorlagen; es zeugt von Fantasie & Wagemut, wie sie einem Vorläufer, nämlich Onkel Herbie und seinem „The new Standard“ (1995), in einem solchen Umfang ziemlich fremd waren.
Die kurzen Eigenkompositionen von Nguyen Lê fallen demgegenüber nicht ins Gewicht, sie sind Intros, Scharniere zu den Hauptsachen.
Es spricht überhaupt nichts dagegen, „Songs of Freedom“ als eine Neu-Definition des Jazzrock zu verstehen, unter globalem Vorzeichen.
Man ist gespannt, wie die Herren Page, McCartney, Clapton auf das Fortspinnen ihrer Ideen reagieren...
PS: Warum hat Nguyen Lê Jeff Beck nicht gecovert? Nun, Jeff Beck steht bei ihm obenan, vor allen anderen Gitarristen - „but he doesn´t compose songs“.

erstellt: 15.03.11
©Michael Rüsenberg, 2011. Alle Rechte vorbehalten

Nguyen
über Songs of Freedom