MATS VINDING TRIO Open Minds (*****)-(********)
01. Someday my Prince will come (Churchill), 02. My funny Valentine (Rodgers), 03. Summertime (Gershwin), 04. Hardly like an evening sunset (Pilc), 05. Open Minds (Vinding), 06. How deep is the Ocean (Berlin), 07. Sam (Pilc), 08. Irah (Billy Hart), 09. Straight no Chaser (Monk), 10. Golden Key (Pilc), 11. I skovens dybe stelle ro (danish trad)
Mats Vinding - b, Jean-Michel Pilc - p, Billy Hart - dr
rec 04.11.2010
Storyville 1014267
Die Hirnforschung mag uns helfen zu erklären, warum die Bewertung dieser Produktion so schwierig ist. Die Musik pendelt permanent zwischen zwei Polen, die je ganz unterschiedlich zu verarbeiten sind.
Die eine Pol heißt Standards, und es gibt derzeit kaum ein anderes Ensemble, das diesem Trio die Führung auf diesem Sektor streitig machen könnte. Was Wunder, sitzt doch hier Jean-Michel Pilc am Piano, nicht der Erfinder, aber ein Großmeister desjenigen Jonglierens mit den Bausteinen einer bekannten Komposition, das von Wayne Shorter abwärts an vielen Jazzmusikern von uns geschätzt wird.
Pilc ist ein Genie im Legen falscher Fährten, im Verstecken des Vertrauten, im Aufsetzen einer fremden Struktur auf eine bekannte (superimposing). Kurzum, es gibt kaum einen geeigneteren, uns das Vertraute vorzuführen - aber erst einmal vorzuenthalten. Eine Tätigkeit, die unsere Oberstübchen außerordentlich schätzen.
Man steuere am besten gleich den Höhepunkt an: „Summertime“. Weil alle das Thema im Traum pfeifen können, beginnt Mats Vinding mit einer Assoziation dazu - nämlich mit der Baßlinie von „Fever“. Chapeau! Der erste Rhythmus kommt nicht vom Schlagzeug, sondern von präparierten Klaviertasten, und sie legen einen Reggae-Groove nahe. Nochmal Chapeau! Dann bringt Pilc das Instrument üblich zum Klingen, mit Fragmenten des Thema sowie lauter Dissonanzen (die unserer Liebsten, einer Jazz-Novizin, sogleich zu viel waren), inzwischen changiert der Rhythmus des Stückes zwischen Reggae und Shuffle und Pilc spielt massenhaft Durchgangsakkorde, versteckt das Thema darin, läßt es gospelhaft aufscheinen, tritt aus dem Groove. Es ist eine Delikatesse ohne Ende, das Regiment des reinen Übermutes. Chapeau again!
Und so könnte man das weiterführen, wer hat schon einmal ein solches opening von „My funny Valentine“ gehört? Ein ostinato in der rechten Hand und links, gaaanz tiefen unten, spielt er doch deutlich erkennbar das Thema dieses Gassenhauers, beim nächsten Durchgang wird diese Aufgabe an den Bassisten weitergereicht.
Es ist einfach fantastisch, wie die drei mit dem umgeben, was wir kennen.
Wo aber ist das Problem? Es liegt in den Eigenkompositionen der drei. Auch wenn keiner von ihnen als Komponist ausgewiesen ist (ihnen insoweit keine großen Erwartungen entgegeneilen), so ist doch der künstlerische Ertrag gering. Obwohl sie keinen Deut von ihrer handwerklichen Meisterschaft abweichen, stehen ihre eigenen Stücke vollkommen im Rezeptionsschatten der alten Schlachtrösser. Es gibt wenig daran zu entdecken und so gut wie nichts zu deuten, in ihren eigenen Stücken tun sie einfach viel zu sehr „als ob“...es auch hier um Standards sich handelte.
Insoweit ist das enorme Vergnügen an dieser Produktion doch sehr zweigeteilt.
Mats Vinding, geboren 1948, ist ein Veteran der dänischen Jazzszene, seit 35 Jahren arbeitet er im Team mit Billy Hart, geboren 1940, als Rhythmusgruppe von Stan Getz bis Hank Jones. Den jüngsten in der Runde, Jean-Michel Pilc, geboren 1960, kannte Vinding gar nicht, er kam auf Empfehlung von Hart.
Und man darf sagen, Vinding hat diese enorme Bildungslücke optimal geschlossen.
erstellt: 28.06.11
©Michael Rüsenberg, 2011. Alle Rechte vorbehalten