ANDY EMLER Pause ********

01. Crazy Orgue Café (Emler), 02. Pulsations Nocturnes, 03. Dehors dans les Nuages, 04. Ti Pièce en or, 05. Triorgue

Andy Emler - org, Claude Tchamitchian - b (1,5), Eric Echampard - dr (1,5), Laurent Blondiau - tp (2), Laurent Dehors - bcl, cbcl (3),  Guillaume Orti - ts (4)  

rec 10/2009
Indigo/Naïve DJ 64002, LC 4607

Monsieur Emler gönnt sich eine „Pause“ vom MegaOctet, dem er seit über 20 Jahren vorsteht. Und setzt sich an die restaurierte Cavaillé Orgel in der Abtei Royaumontin Asnières-sur-Oise, nördlich von Paris.
Die Wahl einer Kirchenorgel ist ein so seltenes Thema nicht, wie man zunächst vermuten möchte. Von Keith Jarrett (1976 in Ottobeuren), über Jasper van´t Hof, aber auch Arve Henriksen und Christian Wallumrød hat sich in jüngerer Zeit immer mal wieder ein Jazzmusiker von dieser ganz anderen Klanglichkeit bewegen lassen, nicht zu schweigen von der Begegnung Günter Baby Sommers mit dem Kantor des Merseburger Domes, Hans-Günther Wauer, 1981.
Andy Emler demonstriert gleich im Eröffnungstrack, dass er die spezifische Botschaft nicht nur des besonderen Klangraumes, sondern auch die Chancen des Instrumentes begriffen hat. Er beginnt mit einem tiefen Liegeklang und legt ein Motiv darüber, das er mit halb-gezogenen Registern hier und da ins Taumeln bringt. Nichts verbildlicht das langsame Anfahren des großen Klangapparates besser als diese „absaufenden“ Zwischentöne.
Der Kontrabass antwortet motivisch mit gestrichenen Noten, der Schlagzeuger rührt vorsichtig mit dem Besen auf der snare. Immer wieder „Pausen“. Emler verdichtet, Echampard geht klanglich in die Breite. Kurze Pause, und ab 3:37 wird das zentrale Orgel-Motiv fortgeführt über einem binären Groove, es beginnt zur rocken, Emler erhöht die Spannung, indem das Thema jetzt mit angenehm dissonanten Akkorden unterfüttert. Schließlich dünnt er den Groove langsam aus, das Stück endet, wie es begonnen hat - rubato über fragilen, „suchenden“ Orgelklängen.
cover-emlerEinen besseren Start kann man sich kaum denken.
„Pulsation Nocturnes“ ist ein Duo mit dem Trompeter Laurent Blondiau, früh schält sich ein hymnisches Thema heraus. Pause. Emler gibt ein Minimal Pattern in 7/8 vor und - höre da! - das Thema aus dem Vorgängerstück erscheint wieder (es wird auch im Schlußtrack noch einmal auftauchen).
Damit ist die zentrale Stärke dieser Produktion beschrieben: die motivische Arbeit von Andy Emler, hier ist auch ein Improvisator am Werke, vor allem aber ein Komponist. Der jedem der fünf Stücke einen eigenen dramaturgischen Rahmen gibt. Dabei wirkt „Pulsation Nocturnes“ so, als begänne nach einer Pause bei 6:22 ein neues Stück, weil Emler plötzlich jeglichen Beat herausnimmt und blues-haft intoniert, bis auf einmal das Hauptthema über dem Minimal Pattern wieder auftaucht, und schließlich beide Instrumente auf ihre eigene Art in Luftströmen ausklingen. Ein wunderbarer Kunstgriff.
„Dehors dans les Nuages“ ist das klang-räumlichste Stück von allen, Laurent Dehors steigt mit Baßklarinette und Kontrabaßklarinette quasi in die Krypta hinab, gelegentlich erinnert er an John Surman (der gleichfalls eine Aufnahme mit Kirchenorgel gemacht hat), das Stück lebt von dynamischen Kontrasten, es entwickelt sich auch ohne Beat zu einem großen Klang-Drama.
„Ti Pièce en or“ stützt sich erneut u.a. auf ein Minimal Pattern in 7/8, hat also Groove, es ist das jazz-nächste Stück mit klar erkennbarer improvisatorischer Verlaufsform.
Die Produktion schließt, wie sie begonnen hat, in Trio-Besetzung - und Pausen. Erkennbar auch hier ein eher improvisatorischer Charakter. „Triorgue“ wirkt wie eine Paraphrase auf „Crazy Orgue Café“, möglicherweise ist es auch zuerst entstanden. Dann war es klug, das Stück an den Schluß zu setzen, weil es seine Geheimnisse eher preisgibt als das Partnerstück.
Eine vorzügliche Produktion.

erstellt: 03.09.11
©Michael Rüsenberg, 2011. Alle Rechte vorbehalten