CHICK COREA The Vigil *****

01. Galaxy 32 Star 4 (Corea), 02. Planet Chia, 03. Portals to Forever, 04. Royalty,05. Outside of Space, 07. Pledge for Peace, 08. Legacy

Chick Corea - p, ep, keyb, Hadrien Feraud - bg, Charles Altura - g, Tim Garland - ss, ts, bcl, Marcus Gilmore - dr, ? - voc


rec. 2013 (?)
Universal/Concord 0888072345782

Chick Corea, Herbie Hancock, John McLaughlin, die Fusion-Stars von einst, inzwischen alle jenseits der 70 - die Jazzgeschichte strotzt nur so von ihren Heldentaten. Die Jazzlexika schreien alle das Gleiche, und es ist ja auch korrekt.
Bloss, wer von ihnen hat - sagen wir - in den letzten 10, 15 Jahren etwas zu Gehör gebracht, das zumindest der Relevanz der frühen und früheren Jahre ebenbürtig wäre? Die Helden haben ein Problem mit ihrem Spätwerk.
Damit ist nichts gegen das Zitieren der eigenen Historie gesagt; wenn schon so viele sich an ihnen orientieren, haben die Originale immer noch das Recht auf Erstverwertung ihrer Errungenschaften. Auch wird hier nicht für einen radikalen Richtungswechsel, komplettes Umsteuern o.ä. plädiert.
Chick Corea z.B. hat dem kollektiven Jazz-Gedächtnis soviel Hufeisen-Themen eingebrannt, dass er davon nicht mehr loskommt, seine Gegenwart ist seit langem jeweils Variante der Vergangenheit.
Wayne Shorter, am 25. August 2013 80 Jahre alt, hat das Problem nicht. Just im Alter der drei Helden hat er eine geradezu geniale Methode gefunden, die eigene Vergangenheit zu präsentieren und zugleich zur Disposition zu stellen. Sein Quartett ab „Footprints Live“ (2002) ist eine echte Innovation, und er musste es nicht einmal mit „jungen Musikern“ besetzen (deren Kraft Chick Corea jetzt stets und ständig beschwört, obwohl Tim Garland auch schon auf die 50 zugeht), sondern etablierte waren dazu gerade richtig, (darunter der langjährige Corea-Mann John Patitucci).
Laut Corea schliesst dieses Quartett an Elektric Band II an („Paint the World“, ein ausgesprochenes vamp-city mit der wenig beachteten Rhythmusgruppe Jimmy Earl - bg und Gary Novak - dr), aber auch an Return to Forever (im Konzert spielt es auch „Romantic Warrior“ und „Spain“).
cover-corea-vigilAber warum Chick Corea für ein solches Jazzrock Referenz-Unternehmen auf den „Nachtwächter“-Titel (The Vigil) verfällt und sich obendrein für das Cover als Ritter der traurigen Gestalt malen lässt, bleibt sein Geheimnis (falls irgendwo das peinlichste Jazzcover 2013 prämiert wird, JC nominiert es gerne).
Der Auftakt „Galaxy 32 Star 4“ knüpft deutlich an „Paint the World“ an, nur war der Ton damals expressiver, die vamps hypnotischer. Nichts gegen Tim Garland, der im Prinzip vielfältiger spielt als sein Vorgänger Eric Marienthal, aber in puncto Expression, Druck, Dynamik ist jener nach diesem Wiederhören von „Paint the World“ glänzend rehabilitiert.
Garland hat seine besten Momente auf dem Tenor in „Royalty“, nach „Planet Chia“ das zweite Stück im 6/8-Takt, im Gegensatz zu letzterem allerdings eher im Stile eines 6/8-swing. In „Outside of Space“, einem Bolero, spielt er Baßklarinette, eine Sängerin tritt hinzu - die in den Begleitpapieren dieser Vorab-CD nicht verzeichnet ist, auch nicht auf Corea´s Webseite, möglicherweise erneut Gayle Moran, mit der er seit 42 Jahren verheiratet ist (und der er irgendwo auf seiner Webseite allen Ernstes das Attribut „talentiert“ voranstellt.)
„Portals to Forever“ - nomen est omen - ist Return To Forever reinsten Wassers, eine Suite, in die Corea vieles hineingepackt hat: das Stück beginnt mit einem e-piano-ostinato in 11/8, es wandert später in einen 4/4-swing. Tradin Fours, also viertaktiger Austausch von Solo-Teilen ist dabei, zwischen synth und bundloser Baßgitarre (Hadrien Feraud wird von seinem Ex-Bandleader John McLaughlin „der neue Jaco“ genannt); aber Feraud hat eben nur das vibrato auf der bundlosen Bassgitarre drauf, Pastorius´sche flageoletts fehlen. Und der Bandleader lässt  die Töne kippen auf seinem Synth (pitch bending). Aber es ist - wieder - nur eine Geste, ihr geht alles von der Dramatik des legendären „So long Mickey Mouse“ (1977, mit Gerry Brown und Stanley Clarke) ab, und auch das obligate drum solo gegen riff in diesem Stück, mit Extrahall untermischt und wie auf einem Podest präsentiert, klingt wie eine Pflichtübung, ohne jede Dringlichkeit.
Man glaubt Meckerfrantz gerne, dem Düsseldorfer JC-Zuträger, den diese Band ganz gegen die Erwartung in der Philharmonie Essen beeindruckt hat: ihr Potenzial kann sich jederzeit entzünden, aber dann doch eher auf der Bühne, an einem gut gelaunten Abend, als im Studio, mit Blick auf die Erwartungen eines großen Zielpublikums.

erstellt: 06.08.13
©Michael Rüsenberg, 2013. Alle Rechte vorbehalten