TERENCE BLANCHARD Magnetic *******

01. Magnetic (Blanchard), 02. Jacob´s Ladder (Crumbly),03. Don´t run (Blanchard), 04. Pet Step Sitter´s Theme Song (Almazan), 05. Hallucinations (Blanchard), 06. No Borders just Horizons (Kendrick Scott), 07. Comet (Almazan), 08. Central Focus (Blanchard), 09. Another Step (Almazan), 10. Time to spare (Brice Winston)


Terence Blanchard - tp, flh, Brice Winston - ts (1,2,5,6,10), Fabian Almazan - p, Joshua Crumbly - b (2,4-6,8-10), Kendrick Scott - dr, Ron Carter - b (1, 3), Ravi Coltrane - ss (3), ts (4), Lionel Loueke - g, voc (4,5,9)


rec. 2013 (?)
Universal/Blue Note 05099990335426

Terence Blanchard, 51, ist einer der Top-Trompeter und einer der produktivsten Komponisten im Jazz, letzteres aber nicht für den Jazz. Seinen Jazzkompositionen, unter denen keine zu einem „Standard“ wurde, stehen etliche Filmmusiken gegenüber, im Juni 2013 hat er seine erste „opera in jazz“ herausgebracht, „Champion“, über den Boxer Emile Alphonse Griffith.
Mit „Magnetic“, es ist sein zwanzigstes Album kehrt, Blanchard wieder zu dem Label zurück, das er 2007 nach einem „Requiem for Katrina“, seiner Heimatstadt New Orleans, verlassen hatte.
Nach der Klangopulenz, über die er dort auch dank eines Orchesters verfügt, kehrt er nun zum Quintett-Format mit dem Wunsch zurück, „dieselbe Vielfalt in alles zu packen, was wir spielen, dieselbe breite Farbpalette, die man hat, wenn man mit einem Orchester und Stimmen arbeitet.“
Hey, wir sind im Jazz, da sind solche Sätze nicht zum Nennwert zu nehmen. Klanglich kommt die „Vielfalt“ durch keyboard-Flächen (für die niemand auf dem Cover genannt wird) und den Harmonizer zum Ausdruck, mit dessen Hilfe Blanchard sein Horn tonal aufbrezelt (das ist spätestens seit Randy Brecker, 1978, eine bekannte Technik; bloss dass hier instrumental-technisch eine ganz andere Potenz wirkt.) Im Gegensatz zu Brecker tutet Blanchard, der filmerfahrene, allerdings in Cinemascope, sodass er in dem Harmonizer-Funk „Another Step“ den Bogen überspannt; das ist ein Schritt zuviel.
cover-blanchard-magneticStrukturell, und das beeindruckt weit mehr, drückt sich die Vielfalt in einer Abkehr von überkommenen Mustern des Hardbop aus. Typisch dafür der opener: ein suggestiver vamp in 5/8 läuft über jeweils 10 Takte, wobei auf dem letzten Beat in Takt 9 eine tonale Rückung einen überraschenden Farbwechsel hereinbringt. Blanchard halt den vamp nicht komplett durch, lasst ihn immer mal wieder aufscheinen, das Thema und die Soli laufen über einen anderen Rhythmus.
Diese Methode, mit einem vamp regelrecht zu geizen und die Soli rubato fast auf Null fallen zu lassen (Herrschaften, es sind gute Soli!), treibt er in „Pet Step Sitter´s Theme Song“ auf die Spitze.
Das Stück stammt von dem 1974 in Havanna geborenen Fabian Alamazan, der seit ein paar Jahren zum Blanchard Quintett gehört.

Amazan startet mit einem süffigen Gospel-vamp a la Keith Jarrett, das folgende staccato-Thema nennt ein amerikanischer Kritiker „larger than Life“ - man wird es nicht los: die Solisten greifen es immer wieder auf, erst Ravi Coltrane, ts, dann Blanchard mit einem seiner Harmonizer-verstärkten Soli und schliesslich der komponierende Pianist selbst. Die Rhythmusgruppe folgt den Solisten mit großer Dynamik bis ins Frei-Metrische.
Schluss-Thema, denkste! Jetzt kommt Lionel Loueke und reduziert das Ganze bis nahe an die Hörschwelle, in der Ausblende seines extrem sparsamen Spiels lässt er noch einen Shuffle-Groove erkennen.
Das Stück scheint dem Bandleader so gefallen zu haben, dass er dem jungen Mann an seiner Seite drei tracks später mit „Comet“ noch eine Art Paraphrase dazu erlaubt. Das Thema ist auch einfach zu schön!
Fabian Almazan wie auch der 21jährige Bassist Joshua Crumbly (der hier die Ballade „Jacob´s Ladder“ beisteuert) sind beste Beispiele gegen die fahle Behauptung von George Duke (1946-2013), die anlässlich seines Todes wie ein loop durch eine deutsche Radioanstalt geistert, die jungen Musiker heute könnten nicht mehr bei den älteren lernen.
Hier können sie nicht nur das, sondern auch wie Brice Winston, der seit 1999 bei Blanchard ist, eigene Stücke unterbringen.
Winston´s „Time to Spare“ ist eines von mindestens drei Post Hardbop-Stücken, in denen diese Band, nebst Gästen, einfach nur so glänzt. Darunter der wunderbare Blues „Don´t run“ mit Ron Carter und einem auf dem Sopran jubilierenden Ravi Coltrane - vom Bandleader ganz zu schweigen.

erstellt: 29.08.13
©Michael Rüsenberg, 2013. Alle Rechte vorbehalten