NILS PETTER MOLVAER/MORITZ VON OSWALD 1/1 *

01. Noise 1 (von Oswald, Molvaer), 02. Step by Step, 03. Transition, 04. Development, 05. Further, 06. Future, 07. Development, Ricardo Mix Dig, 08. Noise 2

Nils Petter Molvaer - tp, Moritz von Oswald - electronics, Mala - electr perc (2), Max Loderbauer + Ricardo Villalobos - electr perc (7)

rec. 2013
Universal/Emarcy 06025 3743672, LC 00699

Wenn DER Jazz so wäre, wie wir häufig über IHN sprechen, nämlich eine quasi humane Entität, dann müsste man IHM auf Grund dieser Produktion eine Klage nahelegen. Denn was hier in SEINEM Namen (und im Namen von Techno) angestellt wird, könnte ein Gericht als schmerzensgeld-pflichtig bewerten.
Nie zuvor haben Jazz & Techno sich so dusselig angestellt, aber gleichzeitig eine so grosse Klappe riskiert (beziehungsweise ihre publizistischen Hintersassen).
In einem Begleittext lesen wir, hier träfen sich zwei Protagonisten, die „sich zwar auf Traditionslinien des Jazz berufen, zugleich aber den weitgehenden Stillstand des Genres nicht hinzunehmen bereit sind.“
Kann man in Berlin, der Kulturmetropole Europas, wo die beiden produziert haben, einen so aberwitzigen Eindruck von IHM gewinnen?
Der Realitätsverlust ist damit nicht vollständig beschrieben; Moritz von Oswald: „Vielleicht hätten wir das Album auch ´Contacts´ nennen können, aber dann wären wir unweigerlich in die semantische Nähe Karlheinz Stockhausens geraten, den ich allerdings sehr wohl als großen Einfluss nennen würde, gerade was den Umgang mit Pausen und Auslassungen in der Musik anbetrifft. Pausen die willkommen sind und nicht unbedingt vollgespielt werden müssen.“
Hier kommt eine altbewährte Technik zum Einsatz, mit deren Hilfe schon Can jahrelang ihre Zuhörer vernebelt haben: wir sind Stockhausen-Schüler.

Und Molvaer, den wir in der Jazzwelt ja nun hinreichend kennen gelernt haben (und seine frühen Alben wie „Khmer“, 1997, durchaus schätzen), er habe, heisst es, mit jenem Album „quasi im Alleingang...damals sein Land auf die Karte des Jazz zurückgebracht“.
cover-molvaer-oswaldKann man eine Produktion, die von einem solchen Verbal-Schwachsinn begleitet wird, ernst nehmen?
Man kann nicht. Und die beiden „Protagonisten“ tun herzlich wenig, auch nur - sagen wir - einen mittleren Standard der jeweiligen Gattung anzupeilen.
Nils Petter Molvaer gibt Luft in seinen Trompetennuckel, wie man es von ihm kennt, aber wirkt noch verlorener, noch einfallsärmer, weil ihm keine Textur entgegensteht, kein Stian Westerhus, die zu irgendeiner Dramatik ihn bewegten.
Eine Trompete, meist aufgenommen, als käme sie aus dem Nachbarraum, müsste schon in den Händen eines ausgesprochenen Virtuosen liegen, um unter dieser Bedingung überhaupt irgendetwas Gestalterisches zu machen.
Was Oswald ihm „entgegensetzt“, nein worin er es packt, ist ein Assortiment an Wattebäuschchen, altbackene Filter-Effekte, ausgelutschte Dub-Echos, vorzugsweise über marsch-verwandten 4/4-Takten. In „Step by Step“ erlaubt er sich eine kleine offbeat-Irritation, und die in „Further“ hätte was werden können, wenn...
Die Mitwirkung von Max Loderbauer & Ricardo Villalobos in track 7 wäre ohne die Nennung ihrer Namen gar nicht aufgefallen; ihr Beutezug durch den ECM-Katalog 2011 nimmt sich dagegen wie ein Abenteuer aus.
Glücklicherweise heisst die Produktion „1/1“. Im Falle von „1/2“ hätten wir IHM geraten, sich zu bewaffnen.

erstellt: 22.10.13
©Michael Rüsenberg, 2013. Alle Rechte vorbehalten