Sonny Rollins gibt ein Interview. Diesmal wird er nicht gefoppt wie 2014 vom New Yorker, diesmal spricht er ausführlich mit dem Magazin der New York Times.
Er ist jetzt 89 (am 7. September wird er neunzig), sein letztes Konzert gab er 2012, zwei Jahre später stellte er das Saxophonspiel ein, bedingt durch eine Erkrankung der Lunge.
Sonny ist mit sich selbst im Reinen („wie nie zuvor“), und vielleicht deshalb liest sich das Gespräch anders als frühere. Er spart nicht mit Selbstkritik, ja er sei „immer noch ignorant gegenüber vielen Dingen“.
Geradezu maßlos geht er mit sich ins Gericht, dass er z.B. vor Jahrzehnten an der Seite von Charlie Parker in einem Solo die Melodie von „Anything you can do (I can do better)“ zitiert - und auch im Wortsinne gemeint habe.
Selbstlob andererseits verpackt er geschickt in eine Schnurre.
So wollten ihn die Rolling Stones seinerzeit als Gast im Studio. Er wollte nicht.
„Ich glaube nicht, dass Mick Jagger eine Ahnung davon hatte, was ich mache, und umgekehrt genau so.“
Aber, seine Frau drängte ihn, und so folgte er willig ans fremde Mikrofon.
Im weiteren Verlauf des Gespräches lobt er Paul McCartney („ein guter Melodiker“), distanziert sich erneut von den Rolling Stones („nur ein Abklatsch des schwarzen Blues“), und man denkt: jetzt gibt er a Ruhe.
Nein, er berichtet vom Einkauf in einem Supermarkt in Hudson/NY, wo Top 40 Songs laufen. „Ich höre einen Song und frage mich: wer ist denn das? Sein Spiel hat mich total angemacht. Dann sagte ich: ´Moment mal, das bin ja ich!´ Es war mein Solo auf einer der Rolling Stones Platten.“
Jazz-Ideologen kommen hier nicht auf ihre Kosten. Musik sei neutral, „sie hat nichts mit Ethik zu tun“.
Und mit einem Satz legt er sich quer zu Ralf Dombrowski´s Gutmenschen-These aus seinem Buch „111 Gründe, Jazz zu lieben“. („So ist mir rückblickend eigentlich niemand begegnet, der die Regeln des guten Stils im menschlichen Miteinander hinter sich gelassen hat.“)
Der Rückspiegel des Sonny Rollins ist sicher weitwinkeliger und mit mehr Tiefenschärfe ausgestattet:
„Ich kenne bedeutende Musiker, die sich nicht bemüht haben, gute Menschen zu sein.“
Er könnte damit auch einen Instrumental-Kollegen gemeint haben, einen 1991 verstorbenen Tenorsaxophonisten.
erstellt: 29.02.20
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