ORCHESTRE NATIONAL DE JAZZ Party ******

01. Requiem pour un Con (Gainsbourg, Colombier), 02. Who is Clutterbuck? (Leonhart, Yvinec, Siffre), 03. Wonder Twin Powers activate! (Leonhart, Yvinec), 04. Vergogna in Blue, 05. Gold Fever (Leonhart), 06. Everybody´s got to learn sometime (James Warren), 07. Vermilion $ Man (Leonhart, Yvinec), 08. Je m´aplpelle Geraldine (Vannier), 09. Dust Devil (Leonhart, Yvinec), 10. Dr. Killjoy ((Leonhart), 11. The Party (Mancini), 12. Once in a Lifetime (Byrne, Eno, Frantz, Harrison, Weymouth), 13. Rainy Day/Strawberry Letter (Shuggie Otis), 14. 7 cm Stilettos (Leonhart, Yvinec), 15. Les quatre cents Coups (Jean Constantin)

Eve Risser - p, fl, Vincent Lafont - org, synth, p, ep, Antonin-Tri Hoang - as, cl, bcl, synth, harmonium, Matthieu Metzger - sopranino, as, bars, electr perc, Rémi Dumoulin - ts, cl, bcl, Joce Mienniel - fl, bfl, synth, Sylvain Bardiau - tp, flh, tb, sousaphone, Pierre Perchaud - g, banjo, Sylvain Daniel - bg, Yoann Serra - dr
Michael Leonhart - tp (1,5,9,10), dr (10), keyb (1,7,8), g (3), dr-machine, perc (3)
Daniel Yvinec - electronics, prod, sound design

rec. 07/2013
Harmonia Mundi/Jazz Village JV 570036


Nach fünf Jahren, das ist das Los dieses Postens, muss man ihn loslassen, und ein Nachfolger kommt. Das ONJ, soviel ist sicher, wird sich erneut in eine andere Richtung aufmachen.
Das ist das Spannende, das Einzigartige am französischen Orchestre National de Jazz: man weiss nie, was kommt - man weiss nur, dass es in bester Ausführung kommt.
Nun tritt Daniel Yvinec, 50, ab. Obwohl Bassist (vorher Oboist) hat er die Band eher in der Rolle des Kurators geführt, nur am Anfang, „Around Robert Wyatt“ (2009) hat er dirigiert, ansonsten sehr gut selektiert (u.a. John Hollenbeck und Gil Goldstein), und erst mit seinem Abschied, „Party“, tritt er auch als Autor in Erscheinung.
Yvinec kann eine glanzvolle Bilanz ziehen, mit vier konzeptionell heterogenen Projekten, darunter zwei Spitzen („Around Robert Wyatt“, 2009,  und „Shut up and Dance“, 2010) und dem eleganten „Piazolla!“ von 2012.
„Party“ ist wiederum völlig anders. Man muss den Titel im Sinne einer Gute-Laune-Veranstaltung verstehen, Yvinec lässt die neun Musiker und eine Musikerin nicht mehr an den ganzen, den großen Besteckkasten heran, er inszeniert eine after-work-party. Man kann auch sagen: er unterfordert die Band. Viel Potenzial bleibt ungenutzt, häufig hat man nicht einmal den Eindruck, einer kleinen Big Band zuzuhören.
„The Party´ist ein Album sehr verschiedener musikalischer Genres, die mit Liebe von Jazzmusikern gespielt werden, die leidenschaftlich und gewitzt sind, ausgestattet mit der Neugier, dem Freiheitsdrang und der Art der Interaktion, wie sie exklusiv für den Jazz sind.“
An dieser Selbstbeschreibung stimmt (fast) alles, aber man könnte sie auch für die anderen Yvinec-Projekte heranziehen. Denn Daniel Yvinec inszeniert nicht irgendeine Party, sondern eine der heute beliebten Motiv-Parties, und das Motto hier lautet ganz klar Sixties!
Ein einfacher Gitarrensound, in einer Mischung aus Hank B. Marvin (Shadows) und Marc Ribot, ist das prägnanteste Klangfeature, dazu häufig cheesy organ, gelegentlich billige Rhythmusmaschine.
cover-ONJ-partyGenau so geht es los, mit einer Reminiszenz an den Film „Requiem pour un Con“ (1967) von Serge Gainsburg und Michel Colombier.
Bei „Vergogna in Blue“ wähnt man sich irrtümlich im Folgetrack „Gold Fever“, denn von den Achteltriolen im Rhythmus und dem rauchigen Thema ist dies eine Hommage an „Goldfinger“ von John Barry (1964).
Noch mehr sixties gefällig?
„Je m´appelle Géraldine“ von Jean-Claude Vannier aus dem Jahr 1966. Und damit beginnt eine interessante Strecke: „Géraldine“ basiert auf einem 1-Takt-Gitarrenriff, das folgende „Dust Devil“ auf einem 2-Takte-Gitarrenriff, bei „Dr. Killroy“ sind es 4 Takte, klanglich in Anlehnung an ein weiteres Sixties-Abenteuer, nämlich „Ceremony“, die Kooperation der englischen Rockband Spooky Tooth mit dem musique concrete-Pionier Pierre Henry, 1969.
Die drei Stücke kulminieren im Titeltrack: Henry Mancini´s Titelmusik zu „The Party“ von Blake Edwards, 1968. Nach der Hälfte erfährt das Stück einen radikalen Bruch; es beginnt in fröhlicher ride-my-pony-Rhythmik, das Tenor von Rémi Dumoulin übernimmt die Führung und schliesst in einem Free-Duo mit Yoann Serra, umgarnt von allerlei vintage-Elektronik.
Wie gesagt, Daniel Yvinec unternimmt nichts ohne eine Partner, es ist diesmal der New Yorker Trompeter/Arrangeur Michael Leonhart, 40, ein Tausendsassa, mit 17 der jüngste Grammy-Gewinner überhaupt, seit „Two against Nature“ (2000) Steely Dan verbunden und zuletzt in unseren Kreisen bei Ben Sidran´s „Dylan different“ aufgetaucht.
Mit ihm, schreibt Yvinec, habe er zwei „faszinierende Arbeitssitzungen zu vier Händen“ in New York vor der Produktion dieses Albums durchgeführt. Möglicherweise hat Leonhart die beiden US-Ikonen Talking Heads („Once in a Lifetime“) und den R&B-Veteranen Shuggie Otis („Rainy Day/Strawberry Letter 23“) eingebracht; er singt hier, die Band singt mit, und man weiß nicht so recht, was man mit diesen cover versions anfangen soll - die Unterforderung der bestens ausgebildeten Band ist hier am grössten.
Das Album klingt aus instrumental-konventionell mit einem Walzer - und sehr französisch, mit „Les quatre cents Coups“ von Jean Constantin, der Titelmusik zu „Sie küssten und sie schlugen ihn“ von François Truffaut, 1959.
Auf einer wirklich Party wäre das der Moment - die Gäste sind längst gegangen -, wo man sich zurücklehnt und sagt: „Jetzt hören wir mal was gaaanz anderes!“
Etwas, was mit der Party nix zu tun hat und ein wenig den Entschluss aufschiebt, schlafen zu gehen.

erstellt: 27.01.14
©Michael Rüsenberg, 2014. Alle Rechte vorbehalten