COLIN VALLON TRIO Le Vent *******

01. Juuichi (Moret), 02. Immobile (Vallon), 03. Le Vent, 04. Cendre, 05. Fade, 06. Goodbye, 07. Le Quai, 08. Pixels, 09. Altalena, 10. Rouge, 11. Styx (Vallon, Moret, Sartorius), 12. Coriolis

Colin Vallon - p, Patrice Moret - b, Julian Sartorius - dr

rec. 04/2013
ECM 2347 3762782, LC 02516

Schon die ersten wenigen Töne heben Colin Vallon ab von von vielen anderen seiner Generation: es geht ihm, ohne jeden Einsatz großen Handwerks, um den Klang des Instrumentes. Im wesentlichen erklingt ein einzelner Ton, im 4/4-Takt wiederholt, on the beat - simpler geht´s nicht.
Aber, schon ein erstes Hören bringt durcheinander: da hinkt was!
Noch einmal und noch einmal auf Anfang, und höre da: der 4/4 ist so simpel nicht.Er läuft 6 Takte lang durch, aber mit verzögerten Zählzeiten, wechselweise werden „2“ und „3“ nach hinten verschoben. Und in Takt 7 bleibt die „4“ ganz weg - 3/4 Takt. Wenig später lassen sich ebenso klar 5/4 auszählen.
Ein wunderbares rhythmisches Vexierspiel, das sich der Bassist Patrice Moret da ausgedacht hat und das das Trio, wenn es denn einsetzt, später bis ins Verschwimmen unkenntlich macht.
Ähnliche simpel-hintergründig geht es in „Immobile“ weiter, das thematisch an Arvo Pärt erinnert.
cover-vallon-ventDas Titelstück kostet einen jeden Klavierton noch länger aus, ähnlich „Cendre“, das motivisch wie ein Kinderlied anmutet. Groove ist hier eher ein gefühltes denn ausgeführtes Phänomen, in „Fade“ kommt ein klanglicher Kontrapunkt von einem - vermutlich - mit dem Bogen gestrichenen Cymbal. Und in „Goodbye“, das muss man wirklich sagen, hängt dieses ewige Adagio, dieses ewig Tastende, Suchenende ziemlich durch.
Man wünschte, die drei würden sich endlich zu einem vollen Einsatz ihrer drei Instrumente entschliessen.
In „Le Quai“ wird das Flehen erhört: eine Percussionsfigur, auf Holz ausgeführt, möglicherweise auf dem Piano- oder Kontrabass-Korpus, galoppiert im Klangraum einher.
Und in „Pixel“ folgt die Rhythmusgruppe mit einem abenteuerlich abgedrehten ostinato-Groove.
„Rouge“ schließlich vereint die bis dato eher verstreuten Qualitäten des Trios in einem Stück: die extreme Klangsensibilität für das Piano (hier noch ergänzt um einzelne, abgedämpfte Saiten), die kantilenenhafte Melodik und den „abstrakten“ Groove, der langsam gospelig sich auflädt. Ja, auf irritierende Weise sind die drei Schweizer hier mit dem zentralen Klangort des norwegischen Jazz verwachsen, dem Rainbow Studio in Oslo, mit dem legendären Jan Erik Kongshaug am Pult.
Bleibt es eine rhetorische Frage, ob sie diese Stück ähnlich auch mit - sagen wir - Martin Pearson in Biel, Genf oder Basel zum Klingen gebracht hätten?
In den beiden finalen Stücken brilliert Patrice Moret geradezu mit gestrichenen Baß-Patterns, so breit wie eine Drehleier („Styx“), dezent im Hintergrund hinter den Piano-staccati von „Coriolis“ - zwei Zufallsstücken, darf man vermuten, die das Klangbewußtsein dieser drei Musiker von anderen Seiten beleuchten.

erstellt: 28.03.14
©Michael Rüsenberg, 2014. Alle Rechte vorbehalten