JACKY TERRASSON Push ******

01. Gaux Girl (Terrasson), 02. Beat it/Body and Soul (Michael Jackson/Green, Hyman, Sour, Eyton), 03. Ruby my Dear (Monk), 04. Beat Bop (Terrasson), 05. Round Midnight (monk, Williams, Hanighen), 06. Morning (Terrasson),07. My Church, 08. Say Yeah, 09. You´d be so nice to come home to (Cole Porter), 10. Carry me away (Terrasson), 11. O Cafe, o Soleil

Jacky Terrasson - p, keyb, voc (3,8), Ben Williams - b, bg (6), Jamire Williams - dr, Gregoire Maret - harm (3,8), Jacques Schwarz-Bart - ts (6), Matthew Stevens - g (8), Cyro Baptista - perc (8,10,11)

rec 28.-30.09.2009
Universal/Concord 0888072316409, LC-Nr 15025

Die dynamische Differenz zwischen Live- und Studioaufnahme ist eine Binsenweisheit des Jazz, und zwar dergestalt, dass man sich im Grunde wundern muß, warum überhaupt noch - wenn nicht gerade die Klangästhetik im Vordergrund steht - so viele Studios gebucht werden.
Nichts wirkt besser als eine Jazzcombo in vollem Flug vor Publikum.
Bei kaum einem anderen nimmt diese Differenz solche Ausmaße an wie bei Jacky Terrasson. Auf keinem seiner bald einem Dutzend Alben, selbst unter den live mitgeschnittenen, ist die Qualität seiner Konzerte eingefangen: sein unglaubliches timing, seine rhythmisch-melodische Tongebung (der ihn in die Nachfolge von Herbie Hancock bringt, freilich ohne dessen kompositorische Qualitäten zu besitzen), die Interaktion mit seiner Band, und das was, ich gerne melodic superimposing nennen möchte, also: auf das harmonische Gerüst eines Stückes einen fremden Gedanken - ein Zitat - aufsetzen.
(Gut, das mag man historisch aus der der Praxis der rhythm changes herleiten, also des Setzens neuer Melodiezeilen auf das Akkordgerüst von „I got rhyhtm“.)
Terrasson geht einen anderen Weg: er plant in diesem Sinne nichts Neues, sondern erscheint assoziativ-spontan: er läßt Zitate aufblitzen, zeigt, was an einer bestimmten Stelle ebenso auch passen könnte - eine Art des musikalischen Humors, der mehr auf Kennerschaft denn auf Lachen abzielt.
So streut er in dem herrlich swingenden „You´d be so nice to come home to“ bei 2:04 plötzlich die erste Hälfte des Themas von Miles Davis´ "Milestone" ein, und Monks „Ruby my Dear“ ist von Hancock-ismen geradezu eingerahmt: die Akkordplatzierungen in den ersten 4 Takte sind purer Hancock, in der Coda erklingt 8 mal hintereinander das Thema von „Butterfly“.
Sein Meisterstück in dieser Hinsicht ist seine Version von „Love for Sale“, wo er die ganze Zeit Hancocks „Chameleon“ wie eine zweite Schicht quasi mitlaufen lässt, bestens in Erinnerung von seinem Konzert beim Münster Jazzfestival 2001.
Und damit sind wir - siehe oben - bei dem ewigen Problem von Terrassons Studio-einspielungen: sie geben bestenfalls in Teebeutel-Qualität seine Live-Performances wieder. Ein Stück wie das erwähnte „You´d be so nice to come home to“ ist schon zu Ende, bevor es richtig angefangen hat; es bleibt so gut wie keine Zeit, die Qualität seiner neuen Rhyhtmusgruppe mit Ben Williams und Jamire Williams auszukosten (sie ist mutmaßlich sehr hoch, in „Beat Bop“ legen sie ein Irrsinngstempo vor), der Funkenflug seiner Fantasie wird eingegrenzt (ein Beispiel: „Round Midnight“ mit einer Latin-Coda abzuschließen), das Repertoire ist fragwürdig, mit ein paar Gospel-Nummern fast schon läppisch, er sollte sich hüten, noch mehr zu singen. Und dass seine Methode des „so Tun als ob“ nicht immer funktioniert, zeigt das Verschränken von Michael Jacksons „Beat it“ mit dem Standard aller Standards, "Body and Soul".
Das ist eine Kopfgeburt, von der man gerne wüsste, ob und wer diesen rhythmischen Fachmann der Emotionen dazu gedrängt hat.
Nein, der wirkliche „Push“ wird todsicher einsetzen, wenn man dieses Trio auf der Bühne vor sich hat.

erstellt: 03.06.10

©Michael Rüsenberg, 2010, Alle Rechte vorbehalten