PETER HERBORN Music for Question Quartet *******

01. Why is it? (Peter Herborn), 02. Where are we?, 03. Should she say so?, 04. Who remembers all Decembers?, 05. What happenened to the Albedo?, 06. Have you seen me lately?, 07. Who is she?, 08. How can you?, 09. What will be?


Michael Janssen - ts, Bruno Böhmer - p, Caspar van Meel - b, Hermann Heidenreich - dr

rec. ?/2009
NRW 9023; LC-Nr 11363

Diese Produktion steht in erfreulichem Widerhall zu dem Bild, das der Ruhrgebietsjazz von sich in die Gegend streut, wie es z.B. in dem Slogan „No blah-blah“ von jazzwerkruhr zum Ausdruck kommt.
„Music for Question Quartet“ ist weder ruppig, noch schräg oder rauh, wie derlei Sekundär-“Tugenden“ zu lauten pflegen. „Music for Question Quartet“ ist elegant, wohlgeformt, von klassischer Gediegenheit - und noch lange nicht verklungen, wenn die tracks durchgelaufen sind. Sie besitzt eine Ideentiefe, der man gerne nachgeht.
„Music for Question Quartet“ signalisiert nichts weniger als die Ankunft des - amerikanisch geprägten - Postbop im Ruhrgebiet. Nur wer keine Vorstellung davon hat, welche Anstrengungen damit verbunden sind, wird dies nicht als Errungenschaft feiern.
„Music for Question Quartet“ - so kann man es auch beschreiben - ist das Werk eines Jazzprofessors (in diesem Falle Peter Herborn, Leiter der Jazzabteilung an der Folkwang Musikhochschule Essen), umgesetzt von Studenten bzw. Alumni seines Institutes: Bruno Böhmer, 1985 in Kolumbien geboren, Caspar van Meel aus den Niederlanden sowie der beiden Deutschen Michael Janssen und Hermann Heidenreich.
Herborn ist von Hause aus Posaunist, tritt in dieser Funktion aber nur noch selten an die Öffentlichkeit, er hat für eigene Big Bands komponiert, für die WDR Big Band, mit seiner Oper „Lorca“ hat er die Grenzen der Gattung überwunden.
question-4Mit dem Untertitel dieser Produktion „The forgotten Chords“ knüpft er nicht an Carla Bley an („The lost Chords“), sondern beschreibt das Tonmaterial dieser Musik, „Harmonisch Moll und seine Dur-Verwandten“, das in wechselnder Dosierung mit den üblichen Jazz-Skalen das harmonische Bild dieser Produktion bestimmt (im Herbst wird ein Buch dazu erscheinen). Der klangliche Unterschied ist so schlagend nicht, zumal Herborn einen thematischen Ambitus vertritt, dessen früher Exponent z.B. früher einmal ein Saxophonist wie Gary Thomas war. Herborns Themen klingen „eckig“ (im Englischen „angular“), eher kühl und abstrakt; es fällt einem schwer, im Tenorsaxophon von Michael Janssen nicht eine Fortführung dessen zu erkennen, was Herborn vor Jahren für Gary Thomas notiert hat.
Mit andern Worten: das Europäische, eine „Imaginäre Folklore“ gar, liegt denkbar fern, hier herrscht eine feinsinnige, tendenziell amerikanische Kunstauffassung - und doch mag man dabei immer wieder an das europäische, das polnische Marcin Wasilewski Trio denken. Die Rhythmusauffassung des Question Quartetts ist ähnlich tiefgründig und subtil.
Ein erster Eindruck ergibt sich im Auftaktstück: die vier Stimmen gruppieren sich locker um einen "gerade" gespielten 4/4-Takt in gemäßigtem Tempo, als plötzlich, bei 1:41, die Rhythmusgruppe zu einem 6/8 in doppeltem Tempo aufbricht - für ganze 4 Takte!
Von da an weiß man, woher der Wind weht, schraubt seine Erwartungen nach oben - und wird nicht enttäuscht. Mit „Where are we?“ folgt ein poly-rhyhthmischer uptempo swing, und in „Should we say so?“ wird rhythmisches superimposing über diverse Tempi in einen 3/4-Takt injiziert.
Die größte Nähe zu jenem „Hardbop“, die die Gruppe sich selbst attestiert (und damit schamlos untertreibt), zeigt sich im flüssigen swing von „Who remembers all Decembers?“ und „How can you?“, während die 3-er Einteilung noch einmal in track 6 auftaucht.
Michael Janssen besticht mit einem „kernigen“ Tenor-Ton, aber die große Überraschung ist Bruno Böhmer. Wer ihn lediglich als eloquenten Vertreter eines poppigen Latin-Jazz kannte, erlebt ihn nun im Zentrum seiner Gattung. Ton & timing sind fabelhaft, vor allem aber ist Böhmer ein richtiger Gestalter, der den Stücken einen Charakter zu geben weiß. Das gelänge ihm nicht, hätte er nicht eine so aufmerksame Rhythmusgruppe hinter sich.
Caspar van Meel und Hermann Heidenreich stellen das beste Rhythmusteam aus dem Ruhrgebiet seit langem. Man möchte wünschen, sie würden dort in einen ähnlichen Status hineinwachsen, wie er in Köln Robert Landfermann & Jonas Burgwinkel zukommt.
Mit anderen Worten, dieses Quartett verfügt noch über headroom, hat noch Raum zu wachsen: Balladen liegen ihm weniger, man glaubt zu hören, dass es den Anstrengungen dieses interaktiven Stiles in den entsprechenden Tempi (noch) nicht gewachsen ist.
Die beste Visitenkarte aller Folkwang-Jazz-Absolventen haben sie hiermit vorgelegt.

erstellt: 09.06.10

©Michael Rüsenberg, 2010, Alle Rechte vorbehalten