Cologne Jazzweek 2024 (3)

Man kann nicht überall sein auf der Cologne Jazzweek.
Diese Binse (Besucher von North Sea Jazz werden lächeln) mag andernorts gut zu verkraften sein, weil tendenziell Ähnliches parallel läuft.
Wer aber, wie die Jazzpolizei, sich entschieden hat, auf seinem Pfad durch die acht Festivaltage den Stationen mit Schlagzeugern zu folgen, weil er dort (siehe unten) am ehesten Aufregendes, Innovation gar, vermutet, den mag für einen Moment ein Anflug von Neid erfassen, wenn sich sein Weg im Stadtgarten z.B. mit dem von Steff Rohrbach (Jazz´n´More) aus Basel kreuzt. Der von einem der Kirchenkonzerte schwärmt, nämlich Ambrose Akinmusire, solo, in St. Agnes.
Der Schlagzeuger just jener Stunde (Jonas Burgwinkel) war im Loft anzutreffen, im Trio eines anderen Wahl-Kölners, des fabelhaften Pianisten Rainer Böhm, nun erweitert um den jüngsten Neu-Kölner, erneut Seamus Blake, ts.
Böhm´s the place, is his place, der ungemein leichtfüßige, nun gewissermaßen „europäisch“ angereicherte NeoBop, wie er ähnlich auf Blakes Aufnahmen auf dem CrissCross Label perlt.
rainer boehm trioseamus blake web 1 foto gerhard richterEine solche Leichtigkeit ist Sun-Mi Hong quasi „von Hause aus“ fremd. Die in Südkorea geborene, in Amsterdam ausgebildete und lebende Schlagzeugerin trommelt in FreeJazz-Nähe. Das könnte, dank ihrer Bevorzugung der toms, reizvoll sein. Leider wählt sie eine dieser Stilistik im Grunde fremde Lautstärke, in der ein so klangschöner Bassist wie der britische Meister John Edwards wie mit tonalen Peitschenhieben ´rüberkommt.
Zweimal erwähnt sie in heiteren Moderationen, ihr Sextett spiele nach einem Jahr erstmals wieder zusammen. Die Jazzpolizei hörte es quasi als in-house-Beleg für die strukturelle Unterkomplexität ihrer Musik, die so gut wie keinen Raum hat für Jozef Dumoulin, der die meiste Zeit an seinem mit Effektgeräten überladenen Fender Rhodes Electric Piano sitzt - und wartet.
extra web 3 foto gerhard richterAb ins Stadtgarten-Untergeschoss, in Jaki. Dort ist Alarm angesagt: Extra, das neue Trio von Peter Evans. Er ist der einzige, hinter dessen Namen das Programmheft kein „efx“ anführt, efx für „effects“.
Welcher Digitalkasten sollte auch mithalten können in dem staccato-Feuer dieses Trompeters. Für die träumerischen Bögen sind andere zuständig.
Mit Efx läutet Jim Black, dr, das Konzert ein, in diesem Falle mit Klavier-patterns aus dem MacBook. Eine Ryhtmusgruppe mit ihm und Petter Eldh, b, da kommt Freude auf - soviel Freude, dass das Jaki rappelvoll ist.
Als Eldhs efx dient ein Tongenerator, auf dem er rhythmische Pulse austüftelt. Bis er sie gefunden hat, ruht der Groove, nach dem alle bei diesem Trio doch so gieren. An einer Stelle dreht er einen Hochtempo-Puls an den Reglern, übernimmt ihn auf der Baßgitarre und führt ihn tonal weiter.
Unser Nachbar meint, ein Speedmetal-pattern zu erkennen, aber was die drei damit machen, hat er noch nicht gehört.
Im Oktober erscheint ein Album von Extra. Bis auf die Zugabe, das uptempo „Freaks“, ist wenig daraus zu identifizieren. Die drei haben sich offenbar entschieden, eine Dreiviertel Stunde lang „im Geiste“ dessen zu spielen, ein wenig Leerlauf inklusive.
unionen web 3 foto gerhard richterTags drauf, im Filmhaus, ist Petter Eldh mehr an der Baßgitarre als am Kontrabaß zu sehen. Man muss sich an die location gewöhnen. Keine Bühne, kein konzentriertes Licht, die Musiker spielen nicht im Kinosaal, sondern im Foyer, dem Warteraum davor.
Gleichwohl gelingt es zwei Norwegern und zwei Schweden, die eher neutrale Atmo (Klischee, Klischee) mit Molltonarten zu animieren. Unionen, Schweden und Norweger, jazzmusikalisch einander nah, aber mit spezifischen Abweichungen, im 19. Jahrhundert lebten die Völker ein Jahrhundertlang in einem gemeinsamen Staat.
Mit einem Augenzwinkern erinnert diese neue Band von Gard Nilssen (aus Skien, der norwegischen Drummer-Stadt) daran. Nilssen ist seit Jahren mit Petter Eldh (Göteborg, seit Jahren) unterwegs, gerne auch bei der Cologne Jazzweek.
Aus Lillehammer der an den keyboards als Klangmaler bestens ausgewiesene Stole Storløkken; er ist ebenso von Jahrgang 1969 wie Per Texas Johansson aus dem schwedischen Södertälje. Und der bedient wahrlich eine Holzblas-Familie: Oboe, Klarinette, Tenorsaxophon, Kontrabassklarinette.
Wo Gard Nilssen, das lehrt die Erfahrung, vor allem mit Petter Eldh, da ist Kraft, da ist Lautstärke, da ist der Exzess - bei Unionen aber überraschend temperiert mit lyrischen, ja melancholischen Momenten. Eldh wendet sich auch hier passagenweise einem Digitalkasten zu, nun aber nicht mit Punkten, sondern Flächen.
neon dilemma web 2 foto gerhard richterDer JC Schlagzeuger-orientierte Parcours durch die Cologne Jazzweek, hier sei´s verraten, ist wesentlich motiviert durch einen Programmpunkt, der seit einigen Jahren in das Festival integriert ist und in diesem Jahr erneut zu seinen Höhepunkten zählt: die Verleihung des Jazzpreises der Stadt Köln, auch bekannt als das mit 12.000 Euro dotierte Jazz-Stipendium der Horst & Gretl Will Stifung.
Der Preisträger 2024 hatte im Eröffnungskonzert der Cologne Jazzweek in einer mäßigen Band sehr gut gespielt, am vierten Festivaltag ging es um ihn: um Leif Berger, 29, aus Münster zum Studium nach Köln gekommen und hier, wie es in der Laudatio heisst, mit 900 Konzerten breit verwurzelt.
Berger kommt aus der Talentschmiede um, s.o., Jonas Burgwinkel; er kann alles mit beat, er kann free in diversen Auffassungen, z.B. im Felix Hauptmann Trio. Aber was er in seinem Preisträgerkonzert zeigte, ließ denn doch den einen oder anderen Jazzkritiker, schon auf der Beschreibungsebene, nach Luft schnappen.
Dass Komposition und Improvisation miteinander verwoben seien, lautet die 08/15-Prosa für fast alles im Jazz, hier aber muss man die Improvisation überhaupt erstmal finden. Die Themen, ach was die Strukturen, sind in ihrer Dichte ohne das Notenpapier vor Augen gar nicht ausführbar.
Sie als sauschwer zu bezeichnen (oder „komplex“, wie es oft fälschlich heisst), ist das Mindeste, was sich darüber sagen lässt. Auch ihre stilistische Bruchlosigkeit frappiert vollends, egal ob nun Elias Stemeseder, p, schreibt oder Robert Landfermann, b, oder Berger selbst.
Sein Anteil stellt das größte begriffliche Rätsel dieser Musik. Dass z.B. interaktive Schlagzeuger heute die Themen mitspielen, indem sie Akzente betonen, ist gängige Praxis. Aber Berger macht mehr, er spielt sie irjenswie vollständig mit.
Die Musik groovt - aber nichts zuvor auf diesem Festival lässt sich damit vergleichen. Der Begriff verlangt nach einem neuen Inhalt, einen um diese Praxis erweiterten Inhalt. Es handelt sich (bei aller Vorsicht) um eine Innovation. Dieses Trio steht beispiellos da in der Welt der Jazzpiano-Trios.
Gegenüber dem Debüt vor einem knappen Jahr hat sich  Neondilemma noch einmal gewandelt, vielleicht weil Elias Stemeseder sich nun mehr auf sein Metier, auf das Piano, konzentriert.
Vom Perkussionisten David Moss stammt das schöne Empfehlung, ein Konzert war dann gut, wenn es ihm zwei, drei neue Ideen brächte. Bei Neon Dilemma käme er mit diesere Zählung nicht aus.

Fotos: Gerhard Richter
erstellt: 04.09.24

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