Ein Jazzabend ohne Mikrofone.
Und schon stecken in diesen vier Wörtern zwei optisch-akustische Halbwahrheiten.
Die optische scheint sich am leichtesten lösten zu lassen: auf Pianist und Klarinettist sind ganz offenkundig nicht Schallwandler gerichtet, der Mann an der - elektro-akustischen - pedal steel guitar braucht ohnehin keinen.
Und dann der raumgreifendste, Ingar Zach, hinter der riesigen Konzerttrommel nur als Torso zu erkennen. Sie ist umrahmt von Mikrofonständern, ja, aber daran hängen Triangel, Glöckchen und ein Mini-Cymbal.
Zach holt nicht ein einziges Mal zu dem aus, was man befürchten und erhoffen mag: den markerschütternden Bumms.
Er streichelt die Oberfläche, sanft auch mit dem Schlegel, legt einige Kleinteile darauf.
Ivar Grydeland beginnt an der pedal steel, lässt perkussive Muster in einer dunklen Klangwolke hängen, und als er sie mit einem dreh an der Lautsprecherbox langsam verebben lässt - liegt irgendwo immer noch eine dunkle Wolk.
Ein drone. Wo kommt er her?
Die Augen suchen Zachs Instrumenatarium ab, und siehe da, zwei Kabelpaare schlängeln sich unten heraus. Nun nimmt man wahr, dass er hin und wieder eine nicht identifizierbare Tastatur drückt.
Ingar Zachs Klangerzeugung an diesem Abend besteht darin, die Oberflächen-Vibrationen seine Instrumentes zu reizen, meist geradezu unmerklich, und diese Schallwellen per Mikro an einen, vermutlich, sehr kleinen Verarbeitungsapparat weiterzuleiten, der die offenkundigen perkussiven Tupfer immer auch in einen kaum beschreibbaren Teppich bettet.
In der Improvisierten Musik, die häufig auch ein Forum für extended techniques ist, dürfte das einmalig sein.
Und damit sind wir bei den akustischen Parametern des Abends, denn nicht nur Zach und Grydeland, sondern auch Christian Wallumrød und der französische Klarinettist Xavier Charles bedienen ihre Instrumente ausschließlich mit nicht-konventionellen Spieltechniken.
Wallumrød schlägt nicht einen einzigen „Jazzakkord“ an, deutet seine aus anderen Projekten gerühmte Melodik nicht mal an; oft gibt er Zeichen wie ein Specht, er hat den Flügel präpariert - das schließt Schönheit aus, wie man sie gerade bei seinen Landsleuten im Norden Europas gerne beheimatet sieht.
„Musik als Sprache der Seele“, wie sie ein deutscher Instrumentalist in diesen Tagen wieder austrompetet - aus dieser Perspektive wird man lange rätseln, was man überhaupt gehört hat. Was da gesprochen wurde.
Es ist Kommunikation mit Klängen, deren Bedeutung auch für die Ausführenden vieldeutig bleibt. Oft stellt sich heraus, wenn sie hernach darüber sprechen: sie haben die Impulse im Moment, live, ganz anders verstanden.
Obwohl sie seit Jahren zusammen spielen, entdecken sie im Kollektiv immer wieder neue Momente. Sie wissen nur, dass es morgen in Berlin anders sein wird als heute in Köln und gestern in Luzern. Sie wissen, wenn sie auf die Bühne gehen, nicht mal, wer als erster Laut gibt.
Der Zuhörer erlebt das nun wieder ganz anders. Aber da die Musiker mehrheitlich aus einer Gegend kommen, aus der man doch tendenziell eher einen elegischen Ausdruck erwartet, rätselt man auch nach dem Konzert noch, in welchem Maße das elegisch war und - ob überhaupt.
Immerhin aber bestätigen Dans Les Arbres eine Ahnung, dass unter ihren „geographischen“ Voraussetzungen Frei Improvisierte Musik (um nichts anderes handelt es sich) nicht als Überfallkommando daherkommen muss.
erstellt: 05.03.22
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