What you have missed - Otto Lechner & Arnaud Méthivier, Inntöne Tasten Festival

Lange nicht mehr Otto Lechner gehört & gesehen.
Was mehr über den Rezipienten als über den Künstler sagt. „Er spuilt immer noch überall“, sagt Paul Zauner, der vor mehr als drei Jahrzehnten entschieden die Konversion des Pianisten Lechner in einen der dann vitalsten Akkordeonspieler betrieben hat.
Manchmal erlaubt er sich optisch einen Rückgriff auf die frühen Jahren, indem er sein Instrument horizontal auf die Schenkel stellt und wie ein Pianist beidhändig bedient.
Die klassischen Instrumentalkollegen, so hören wir hernach von ihm, sind in diesem Falle immer wieder irritiert. Sie vermuten einen Einsatz von Technologie.
Die Tasten eines Akkordeons können zwar wie die eines Pianos gedrückt werden - aber um den Vorgang auch zum Klingen zu bringen, braucht´s schon a Luft. Und der blinde Lechner hat das Instrument so geschickt verkeilt, dass man nicht sogleich mitkriegt, wie er es zum notwendigen Atmen bringt.
Lechner ist inzwischen 58 und war nach langem mal wieder Gast auf Zauners Hauptbühne, dem „Festival am Bauernhof“ in Diersbach/Innviertel/Oberösterreich, in Jazzkreisen bekannt als Inntöne.
Heuer zum ersten Mal und wieder drinnen in der riesigen Scheune als Inntöne Tasten.
Auf seinen Partner zur linken, auf Arno Nano Méthivier, 51, trifft dies im strengsten Sinne nicht zu, er bedient ein Knopfakkordeon.
Lechner methivier 1

Die beiden spielen seit 21 Jahren zusammen, sie haben auch schwere Unfälle auf der Bühne schon gemeistert. Beispielsweise als Lechner einmal dortselbst eingeschlafen war.
Die Ermüdung muss ihn von einer vorherigen Tätigkeit ergriffen haben, denn auf der Bühne ist er, auch wenn er Méthivier, pardon, niemals angucken kann, so was von hellwach.
Die beiden brauchen keine Verabredung, kein Programm, wenn sie auf die Bühne gehen; sie verstehen sich, pardon again, „blind“ (wie die gemeine Jazzkritik einen solchen Rapport zu beschreiben pflegt).
Man braucht schon eine geschlagene Viertelstunde oder mehr, um zu erfassen, welcher Tasten- bzw. Knopfdruck welchen Sound, welches pattern auslöst. Und langsam verfestigt sich dann der Eindruck, dass Lechner eher eine Leadfunktion zukommt.
Lange bewegen sie sich auf verschiedenen Stufen im 4/4-Takt. Dann schleicht sich irgendwann über Méthiviers linke Hand ein 3/4 ein, ein 6/8, dann binär in Richtung Funk, aber eher doch Rock, dann Reggae und - Minimal patterns, als Lechner sein Akkordeon in die Horizontale bringt.
Die beiden kennen ihren Steve Reich und Philip Glass, sie kennen aber auch Ray Charles und allerlei Folklorismen. Sie fahrn, fahrn, fahrn an die 75 Minuten, klingen langsam aus. Die Zuhörer in der Scheune springen auf. Mehr als artige Verbeugungen und Applaus von den beiden Künstlern kriegen sie nicht.
Nach so einer Reise verbietet sich eine Zugabe. Alle in der Scheune verstehen das.

erstellt: 04.06.22
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten