Ein Konzert, zu dessen Beginn der Bandleader darum bittet, auf Schlußbeifall zu verzichten und den Raum still zu verlassen. Oder einfach sitzen zu bleiben.
Wann hat je ein Jazzpublikum einen solchen Auftakt erlebt?
Zwischenbeifall, Szenenapplaus oder sonstige Formen der äußeren Anteilnahme erledigen sich dadurch von selbst, davon muss Stefan Schönegg gar nicht sprechen.
Seine Enso-Projekte werden in Kirchen aufgezeichnet, finden in Kirchen statt, nun im Theatersaal der Alten Feuerwache, Köln. Der Rahmen ist durch eine Fahne am Bühnenvorhang deutlich gezeichnet: cologne jazzweek.
Schönegg, 35, gehört fraglos dazu. Er ist in der Kölner Jazzszene vernetzt, hat bei Dieter Manderscheid Jazz-Baß studiert, er tourt mit dem Eva Klesse Quartett.
Seine Enso-Projekte - Symbol aus der japanischen Kalligrafie für den unperfekten, nicht ganz geschlossenen Kreis - aber haben weder swing noch time oder groove; jetzt, in „Enso strings & percussion“, erklingt fast nichts, in dem man auch nur eine rhythmische Gestalt erkennen könnte.
Bezeichnend auch, dass der Bandleader (der viel präziser als Komponist zu bezeichnen wäre), die norwegische Violinistin Kari Rønnekleiv und die australische Cellistin Judith Hamann vom Blatt spielen. Wohingegen Notenpapier bei den beiden Perkussionisten fehlt. Den beiden obliegt also noch am ehesten, was als zwingendes Gebot über allen irjenswie als „Jazz“ deklarierten Ereignissen liegt: zu improvisieren.
Sie sind so gut wie gar nicht als Rhythmiker, sondern vor allem als Klangmacher gefragt. Die Nähe zur Neuen Musik, etwa zu Helmut Lachenmann´s musique concrète instrumentale, stellt sich assoziativ am ehesten durch sie ein.
Etienne Nillesen hat in Köln längst einen Ruf dafür, dass er auf der snare drum (und meist bringt er wirklich nur diese mit) keine Beats platziert, sondern auf subitle Weise schabt, kratzt und rubbelt.
Das Instrument von Toma Gouband, ein Lithophon, liest sich anspruchsvoller als es ist. In Grunde bearbeitet der Franzose zwei, drei Steine, die auf einer Stand-Tom liegen und dieses Schlagzeugteil lediglich als Resonanzraum nutzen.
Mitunter wedelt Gouband auch mit einem Büschel Reisig darüber.
Ja, es ist unglaublich leise. Schönegg beginnt arco, also gestrichen, mit Bewegungen, die man erst mal nur optisch und nicht akustisch wahrnimmt, hin und wieder schieben sich noch Laute aus dem Innenhof darüber.
Selbst nach einer Stunde fällt schwer zu formulieren, was man eigentlich gehört hat. Als Krücke drängt sich eine Analogie zu den Dunkel-Restaurants auf. So wie dort, nachdem die Augen an die Dunkelheit sich gewöhnt haben, eine Zigarrette einen ganzen Raum zu erleuchten vermag, nimmt man hier kleinste Nuancen wahr.
Und sei es das Knarzen des Nachbahrstuhles (in pandemischem Abstand).
Nach 60 Minuten legen die MusikerInnen die Instrumente nieder und verlassen wortlos die Bühne. Die Zuschauer stehen nicht gleich auf, peu a peu verlassen sie den Raum und freuen sich offenkundig an den Lauten, die sie dabei - vorsichtig - hinterlassen. Hier ein Schritt, dort auch, da hinten Gemurmel.
Im Treppenhaus ist die Jazzpolizei erbost über einen Mann, der laut sich mitteilt. Sie will ihn zur Rede stellen.
Aber, der Gute verhält sich vollkommen normal, er befindet sich im realen Leben.
Stefan Schönegg hat uns für eine Stunde den Kopf verdreht.
erstellt: 04.09.21
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