John Abercrombie, 1944-2017

Zunächst war da … der Schnäuzer.

Gerade erst hatte ein anderer John, ein sehr glatt rasierter, die Grenzen des Genres verschoben, da musste sich die Jazzrock-Gemeinde an den nächsten John gewöhnen.
JOhn AbercormbieAn den mit dem Schnäuzer; sehr dunkel eingangs, später in unmerklichen Veränderungen, ins in Graue, ja ins Schlohweiße sich tönend.

Und man ist versucht, den langen Bogen dieser Farbausbleichung ins Analog zu setzen zu den gestreckten Linien seiner Soli, die sich doch sehr von dem staccato des anderen John absetzen.

Obwohl, anfangs, bei Barry Miles 1972 beispielsweise, später auch bei Billy Cobham, hatte dieser John das kurze feedback, die schreienden Linien durchaus auch im Programm.
Dies gilt vor allem für sein erstes eigenes Album, „Timeless“, 1974, ein ganz großer Wurf, nomen est omen, ein zeitloser Jazzrock.
Mindestens zwei Stücke zucken McLaughlin-esk, „Lungs“ und vor allem „Red Orange“, beide geschrieben von Jan Hammer. Wenn heute Hudson sich in die Nachfolge von Tony Williams Lifetime (1969) stellt, möchte man darüber lachen: John Abercrombie, 1974, mit der nervösen Hammer-Orgel im Nacken - das war Lifetime-Nachfolge!
Das Album enthält in nuce alles, was in Jahrzehnten später hinzutrat:

den „akustischen“ Gitarristen („Love Song“  und „Remembering), den Jim Hall-Einfluss in „Ralph´s Piano Waltz“, hier mit Orgel statt Piano gespielt, ein Stück, das über Jahre immer mal wieder hervorholte.
Mag er auch den Synthesizer gelegentlich hinzugeschaltet haben - sein Ton wurde schlanker; in Quartetten (u.a. mit Peter Erskine, Marc Johnson, zuletzt Marc Copland, Drew Gress und Joey Baron), im Orgeltrio (mit Dan Wall), immer mal wieder mit Jack DeJohnette.

In kleinen Besetzungen fühlte er sich wohl.
Geboren am 16. Dezember 1944 in Port Chester/NY, fand er über den Gitarristen Barney Kessel zum Jazz. Er hat relativ lange am Berklee College of Music in Boston studiert, 1962-67. 1969 zog er nach New York und gehörte alsbald zu Dreams, einer Vor-Gruppe der Brecker Brothers.
Neben fast 40 Alben als leader hat er auf zahlreichen als sideman mitgewirkt, von Gato Barbieri bis Kenny Wheeler.
Er hat eine distinktive Stimme auf seinem Instrument.
Im Frühjahr hatte er einen Schlaganfall erlitten, am 22. August 2017 ist John Laird Abercrombie an Herzversagen gestorben, er wurde 72 Jahre alt.

erstellt: 23.08.17
©Michael Rüsenberg, 2017. Alle Rechte vorbehalten


 

Geri Allen, 1957 - 2017

Geri Allen 2

 

Anfangs nannten wir sie „Yoruba-Prinzessin“; sie war jung, hübsch und wurde auf Covers auch so inszeniert. Für uns sah sie aus wie eine Angehörige vom Stamm der Yoruba in Nigeria, jedenfalls wie wir sie auf den Straßen von Lagos Mitte der 80er meinten identifiziert zu haben.
Sie bedurfte dieses Bonus´ gar nicht. Ihr Klavierspiel war von Anfang an so hypnotisch, dass wir sie genausogut princess of vamps hätten taufen können.


Ähnlich klingt es in der Beschreibung von ex-Mahavishnu-Bassist Ralphe Armstrong: „Sie war der weibliche Herbie Hancock des Pianos“ - ein Satz, den man, gut gewürzt mit einer Prise Sexismus-Verdacht, mit Leichtigkeit missverstehen kann.
Aber Armstrong weiß, was er sagt. Er kannte Geri Allen seit dem 14. Lebensjahr, aus der Cass Technical High School in Detroit. Seinen Satz versteht er als Vorhalt zu dem Hinweis, sie habe „dieselbe Rhythmusgruppe wie Miles Davis“ eingesetzt (Ron Carter, Tony Williams, „Twenty One“, 1994).

„Um mit einer solchen Rhythmusgruppe arbeiten zu können“, nun der volle Armstrong, „muss man zur Elite gehören“.
Und Geri Antoinette Allen, geboren am 12. Juni 1957 in Pontiac/Mich.,  aufgewachsen in Detroit, die Mutter Regierungsangestellte, der Vater Schuldirektor, gehörte zu Eliten.
Von der Ausbildung her: Jazz-Bachelor an der Howard University in Washington D.C., ein Master in Musikethnologie an der University of Pittsburgh. Die letzten vier Jahre ihres Lebens hat sie dort verbracht, als Professorin dieser Universität und Leiterin des Jazz Studies Programme.
Ihre Wiederkehr 1982 nach New York City (wo sie zuvor von Kenny Barron unterrichtet worden war) führte sie gleich wieder in eine Elite: mit der Rhythmusgruppe Anthony Cox, b, und Andrew Cyrille, dr, entstand 1983 ihr Debütalbum „The Printmakers“.
Schon dort und gleich im Anschluss in der M-Base Community fällt sie auf mit ihren „craggy rhythms“, den „zerklüfteten“ Rhythmen, wie sie ein Detroiter Klassik-Kritiker nicht ganz unzutreffend beschrieben hat:
riffs
, vamps, häufig ungerade, häufig afrikanisch inspiriert.
„Die Musik in den meisten afrikanischen Gesellschaften integriert alle Künste, insbesondere Tanz“, hier spricht 2012 die ausgebildete Musikethnologin. Und sie spricht implizit auch über die eigene Praxis (zu der später auch ein tap dancer gehört).
Der Jazzteil ihres artist statement klingt 1996 so: „Mein Interesse heute besteht in dem Versuch, sehr sorgfältig und informiert Herbie Hancock, McCoy Tyner und Cecil Taylor zur Kenntnis zu nehmen; die haben das Piano bis an den Rand gebracht. Meine Herausforderung sehe ich darin, inmitten dieser drei Stimmen meine eigene zu finden.“
Dieses ambitionierte Vorhaben, gar nicht so fern von Ralphe Armstrong, und vielleicht ergänzt um die vierte Stimme „Monk“, ist ihr über weite Teile der 80er und 90er Jahre geglückt; eine Avantgardistin, die tanzt, eine große Stilistin.
Auf mehr als einem Dutzend eigenen Alben und noch mal so vielen Gastauftritten bei anderen kann man das staunend verfolgen, von Betty Carter über Ornette Coleman bis Charlie Haden und Wallace Roney, ihrem Ehemann; mit dem sie drei Kinder hat, inzwischen geschieden.
Geri Allen 1
Spät erst, 2006 und 2011, absolviert sie eine Aufgabe, der man sich als MusikerIN offenbar nur schwer entziehen kann: ein Tribut an eine große VorgängerIN, in diesem Falle an Mary Lou Williams.
Hier sollen nicht Ursache und Wirkung beschrieben werden…aber dies fällt in eine Zeit, wo ihre Entourage nicht mehr durchgängig aus Eliten besteht und der große Ruhm zunehmend historisch aufgeladen erscheint.
Am 27. Juni 2017 ist Geri Allen in Philadelphia einer Krebserkrankung erlegen, kurz nach ihrem 60. Geburtstag.


erstellt: 28.06.17
©Michael Rüsenberg, 2017. Alle Rechte vorbehalten


 

Allan Holdsworth, 1946-2017

Sein erster Beruf, kaum bekannt, setzte den physiologischen Rahmen für seinen zweiten: der ausgebildete Korbmacher konnte greifen wie kein zweiter - und er klang wie kein zweiter.

Scharen von Gitarristen, inklusive John McLaughlin und Frank Zappa, haben bewundernd gerätselt, wie er das macht, was er da macht. 

Uns gegenüber, in den 80ern, in Kingston/Surrey, südlich von London, hat er zum Spaß mal die linke Spielhand ausgespreizt: Voraussetzung für all die verminderten, übermäßigen und sonstwie gitarren-fremden Akkorde, die irrwitzigen Linien, kurz: den komplexen Klangball, der früh sein Markenzeichen wurde.

holdsworthDas Diktum von Robben Ford, er sei der John Coltrane der Gitarre gewesen, kann als erste Annäherung so falsch nicht sein (bis irgendein Doktorand aus der Tiefe des Raumes kommt und sie widerlegt).

Beide schießen die Töne legato in hohen Tempi heraus, in „sheets of sound“, wie sie Coltrane attestiert wurden; Tonballungen, denen man gerade noch heraushören kann, dass die einzelnen Bestandteile sauber artikuliert werden.

Dazu passt, dass er früh schon Coltrane als Vorbild nannte - obgleich er niemals dessen Instrument spielte (was sich die Familie aus Kostengründen nicht leisten konnte).

Im Gegensatz zu Coltrane aber hat sich Allan Holdsworth lange gar nicht als Jazzmusiker verstanden, er wollte als „as good as“ bewertet werden: als ebenso gut wie ein Jazzmusiker.
Er war sich seiner Sonderstellung bewusst, er hat sie kultiviert, mit immensem Training. Sie hat ihn andererseits von bread & butter jobs ausgeschlossen; Holdsworth war, weil er keine Noten lesen konnte, in den Studios nicht zu gebrauchen.

Als er von Bradford, seiner Heimatstadt in Yorkshire, Anfang der 70er nach London kam, wurde er als Künstler, nicht als Funktionsträger gebucht, zunächst von Jon Hiseman („Tempest“), von Ian Carr („Belladonna“), von Soft Machine, von Bruford, aber auch John Stevens.

 Ein erster Ausflug nach Amerika, Tony Williams New Lifetime (insbesondere „Believe it“, 1975), musikalisch nur teilweise beeindruckend, endete - karrieretechnisch - in einer Sackgasse. Die zweite Hälfte der Dekade verbrachte er wieder daheim, in England, mit den Spitzen des ProgRock, mit Bruford, mit UK und Gong.

Ein erstes eigenes Album, „Velvet Darkness“, 1978, auf dem Jazz-Traditionslabel CTI, hätte er am liebsten a la Keith Jarrett behandelt: in die Tonne getreten. Hier, wie auch später, zeigte sich ein anderer Charakterzug, der des Zauderers, des notorisch mit der eigenen Leistung Unzufriedenen.

Mochte die Entourage sich vor Vergnügen biegen - der Urheber kam zu einem anderen Urteil, er bat z.B. den WDR, das gerade mitgeschnittene Konzert bitte nicht zu senden.

1982, nachdem es drei Jahre zuvor produziert worden war, kam dann das erste eigene Album heraus, „das zählt“: I.O.U. mit dem gerade entdeckten Meistertrommler Gary Husband.

I.O.U. wie auch die nachfolgenden, darunter „Atavachron“ 1986, erneut mit Tony Williams, lassen sich nicht umstandslos dem Jazzrock zuordnen, es waren typische „as good as“-Projekte eines eigenen Stilisten.

Kaum nachzuzeichnen an dieser Stelle die Vorzüge, Nachteile, die technischen und markenrechtlichen Probleme, die der Einsatz seiner Art des Gitarren-Synthesizers, des Synthaxe, verursachte. Wenn ihm Pathos, Schwulst und Abkehr von der „reinen Lehre“ vorgeworfen wurden, dann meist im Zusammenhang mit diesem technischen Wunderding (für das er beinahe sogar die Gitarre an den Nagel gehängt hätte).

2000 gelang ihm noch einmal ein großer Wurf mit „The Sixteen Men of Tain“, einem sehr jazz-nahen Album, dem letzten, das er in seinem eigenen Studio „The Brewery“ in San Diego aufgenommen hat.
Nomen est omen, Holdsworth hatte eine Schwäche für den Gerstensaft, aber auch Kennerschaft: er braute ihn selber, von ihm ist auch ein Bier-Zapfsystem patentiert.

Zwölf Studioalben (plus einige wenige Live-Alben) in einer so langen Karriere, das sind erstaunlich wenige Zeugnisse für einen Künstler dieses Formates und Einflusses. Sie sind auch Ausdruck der inneren Zerrissenheit eines Musiker, über die man vielleicht in einer Biografie mehr erfahren wird.
holdsworth toechterZuletzt ist er am 10. April 2017 aufgetreten, Tage zuvor wurde eine umfangreiche Box veröffentlicht, Archivmaterial, nichts Neues.
Ihren Titel ("The Man Who Changed Guitar Forever!: The Allan Holdsworth Album Collection") wird man jetzt kaum noch für Großmannssucht halten.
Allan Holdsworth, geboren am 6. August 1946 in Bradford, wurde am 16. April 2017 von einer Mitbewohnerin seiner Wohnung in

Vista/Kalifornien tot aufgefunden.
Er wurde 70 Jahre alt.

Seine Töchter baten um Spenden für die Beerdigung. Die Kampagne wurde vorzeitig eingestellt; das Ziel, 20.000 $, war binnen 3 Stunden erreicht. Inzwischen sind 114.000 $ von über 2.800 Spendern eingegangen, unter ihnen Holdsworth´ Nachfolger bei Soft Machine, John Etheridge, und der deutsche Saxophonist Axel Knappmeyer.
PS: Der Tod von Allan Holdsworth ist in geradezu exklusivem Ausmaß am deutschen Großfeuilleton vorüber gegangen.
Hatte es Larry Coryell noch zu einem Helden der Vielfalt verklärt, blieb es in diesem Fall stumm.
Man weiß nicht recht, ob aus Dummheit, Platzmangel oder Schlamperei ein Unikat der Gitarrenwelt überhört wurd
e.

erstellt: 17.04.17/21.04.2017
©Michael Rüsenberg, 2017. Alle Rechte vorbehalten